Evermore Bd. 6 - Für immer und ewig
Aber die Einzelheiten sind sowieso nicht
so wichtig. Ich dachte nur … na ja, also ich habe gehofft, dass wir, wenn ich ganz offen bin und dir erkläre, wer ich jetzt bin … also, dass wir dann, wenn ich nicht mehr so bin, wieder Freunde sein können. Du weißt schon, ohne das ganze Brüllen und Schreien und gegenseitige Beschimpfen. Natürlich nur, wenn du willst. Es liegt mehr oder weniger an dir. Ich verspreche, deine Entscheidung zu respektieren, wie auch immer sie ausfällt.«
Sabine steht auf und geht mit ausgestreckten Armen auf mich zu, aber ich bin schneller als sie – so viel schneller, dass ich mich schon an sie schmiege, bevor sie auch nur um die Ecke des Couchtischs gebogen ist.
Und es ist ein so gutes Gefühl, wieder bei ihr zu sein, dass ich ebenfalls weinen muss. Wir werden zu einem nassen, tränenüberströmten, Entschuldigungen stammelnden Kuddelmuddel, bis mir Mr. Muñoz wieder einfällt und ich mir die Augen wische. »Hey, gibt es irgendwas, was ihr euch wünscht?«, sage ich und sehe zwischen ihnen hin und her. »Ihr habt ja gesehen, was ich alles machen kann, wozu ich im Stande bin. Also, wenn ihr mal nachdenkt, was darf es dann sein? Ein neues Auto? Ein Ferienhaus in exotischer Lage? Backstage-Pässe für Bruce Springsteen?« Ich zwinkere Mr. Muñoz zu, da ich weiß, was für ein großer Fan er ist.
Doch sie schütteln alle beide den Kopf.
»Seid ihr sicher?« Ich runzele die Stirn, da ich ihnen unbedingt etwas schenken will. »Also, ich weiß aber nicht, ob ich das alles noch kann, wenn ich erst einmal … wieder so werde wie früher. Ich verliere dann vielleicht alle meine Kräfte oder zumindest einen Teil meiner Kräfte. Was heißt, dass dies eure letzte Chance sein könnte.«
Sabine geht zurück zu Mr. Muñoz und legt ihm eine
Hand auf die Schulter. »Was soll ich denn noch wollen, wenn ich alles, was ich mir je erträumt habe, direkt hier habe?«
Und da sehe ich es.
Da sehe ich den nagelneuen, glitzernden Verlobungsring an ihrem linken Ringfinger.
»Familie ist das Einzige, was mir je etwas bedeutet hat«, sagt sie und zieht mich in ihren Kreis mit hinein. »Und jetzt, da du wieder da bist, habe ich alles, was ich brauche.«
SIEBENUNDDREISSIG
I ch hatte fest vor, zu Damen zu fahren.
Ich hatte fest vor, Sabine und Mr. Muñoz Gute Nacht zu sagen und sofort rüberzufahren.
Doch es lief nicht ganz so wie geplant.
Sabine und ich blieben lange auf. Richtig lange. Noch eine ganze Weile, nachdem Mr. Muñoz sich verabschiedet hatte und zu sich nach Hause gefahren war.
Wir hockten bis in die frühen Morgenstunden auf dem Sofa herum, futterten die restliche Pizza aus der Schachtel auf – ja, ich hab auch ein oder zwei Stücke gegessen und konnte kaum glauben, was ich mir die ganze Zeit habe entgehen lassen! –, und erzählten uns gegenseitig alles, was wir in den letzten Monaten erlebt hatten. Und auf einmal waren es nur noch ein paar Stunden, bis ich in der Schule sein musste.
Laut Mr. Muñoz habe ich absolut keine andere Wahl, als in der Schule zu erscheinen und entweder mit intensiver Zauberkraft auf die Unterlagen im Sekretariat einzuwirken oder übermenschliche Mühe aufzuwenden, um all das nachzuholen, was ich versäumt habe – oder beides –, wenn ich mir Hoffnungen darauf machen will, zusammen mit meiner Klasse den Abschluss feiern zu können.
Und so beschloss ich, mir – statt zu Damen zu fahren – noch ein paar Stunden dringend benötigten Schlaf in meinem alten Zimmer zu gönnen, da ich ausgeruht und fit sein wollte, wenn ich ihn besuche. Ich konnte ja nicht
wissen, wie er darauf reagieren würde, mich wiederzusehen, die Frucht in der Hand. Aber natürlich stand fest, dass ich in Topform sein musste.
Sowie ich seinen schwarzen BMW auf dem Schülerparkplatz stehen sehe, wird mir klar, dass ich gar nicht so lange werde warten müssen. Offenbar erscheint er nach wie vor jeden Tag, besucht den Unterricht und verhält sich so, wie man es von einem Schüler erwartet, auch wenn ich mir nicht um alles in der Welt erklären kann, warum.
»Weil ich dir etwas versprochen habe«, sagt er und beantwortet damit die Frage in meinem Kopf, als er plötzlich neben mir auftaucht. Er hält mir die Tür auf und wartet, dass ich aussteige und zu ihm komme, doch zumindest für den Moment bleibe ich wie erstarrt sitzen.
Ich lasse den Blick über ihn wandern, genieße seinen Anblick und das Gefühl seiner Gegenwart, während der tiefe, nagende Schmerz in meinem Bauch mich daran
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