Evermore Bd. 6 - Für immer und ewig
werde deine Wahl auf jeden Fall akzeptieren.«
Ich lehne mich zurück und sehe zu, wie der Dampf förmlich aus ihr herausströmt, während ihre Aura schlaff wird und zusammenfällt wie ein verschrumpelter Heliumballon.
»Wie lange bist du schon so?«, fragt sie schließlich.
Als mein Blick ihrem begegnet, begreife ich, dass sie glaubt, ich sei schon immer so gewesen – als Außenseiterin geboren. Sie glaubt, ich hätte auch deshalb den Unfall überlebt, während der Rest meiner Familie dabei umkam. Doch das kann ich ihr rasch austreiben.
»Ich bin bei dem Unfall tatsächlich gestorben«, sage ich. »Ich hatte ein sogenanntes Nahtoderlebnis, obwohl ich den Begriff ein bisschen schief finde, da daran überhaupt nichts nah war. Aber darüber weiß Mr. Muñoz sicher besser Bescheid als ich. Er hat eine ganze Menge darüber gelesen.« Ich schaue zwischen ihnen hin und her und registriere, wie sie ihm einen fragenden Blick zuwirft, den er mit einem Nicken und einem Achselzucken quittiert. »Jedenfalls, anstatt zusammen mit Mom und Dad und Buttercup die Brücke zur anderen Seite zu überqueren, bin ich im Sommerland
geblieben, auf diesem unbeschreiblich schönen Feld. Und genau damit hat sich meine Seele beschäftigt, als Damen meinen Körper neben dem Auto gefunden und mich von dem Elixier hat trinken lassen, das mich wieder ins Leben zurückgeholt hat.«
»Und Riley?« Sabine beugt sich mit großen Augen vor und vermutet das Schlimmste.
»Riley saß eine Weile fest«, antworte ich beklommen.
»Sie saß fest?«
Ich seufze. »Zwischen hier und dem Sommerland. Sie hat begonnen, mich zu besuchen, als ich im Krankenhaus war. Dann, als wir hierhergezogen sind, ist sie fast jeden Tag vorbeigekommen, bis ich sie überredet habe, über die Brücke zu gehen und weiterzuziehen. Obwohl ich glaube, dass sie mich gelegentlich in meinen Träumen besucht, habe ich sie seither nicht mehr gesehen. Diejenigen, die über die Brücke gegangen sind, kann ich nicht sehen. Ihre Energie vibriert zu schnell. Aber ein Freund von mir hat sie öfter gesehen …« Ich halte inne und denke daran, wie Jude versucht hat, mir beizubringen, sie auch zu sehen, jedoch ohne Erfolg. »Und laut dem, was er sagt, geht es ihr gut. Eigentlich sogar besser als gut. Sie ist glücklich. Mom und Dad und Buttercup sind auch glücklich. Offenbar fühlen sie sich lebendiger denn je.« Ich sehe sie an. »Weißt du, nur weil du sie nicht sehen kannst, heißt das nicht, dass sie nicht mehr existieren. Die Seele ist ewig. Es ist die einzig wahre Unsterblichkeit, die es gibt.«
Ich weiß nicht, welcher Teil meiner Predigt sie schließlich berührt hat, doch auf einmal liegt Sabine an Mr. Muñoz’ Brust und schluchzt in sein Hemd. Ihre Schultern zittern heftig, während er ihr über das kinnlange blonde Haar und den Rücken streicht, ihr leise Trostworte ins Ohr flüstert
und sie zu beruhigen sucht, bis sie sich so weit gefasst hat, dass sie mir wieder in die Augen sehen kann.
Ich sitze ruhig da und weiß ganz genau, wie sie sich fühlt, denn ich weiß nur allzu gut, wie ich anfangs reagiert habe, als auf einmal meine geisterhafte kleine Schwester vor mir stand – wie ich leugnete, dass das real war. Und wie ich Damen an jenem Tag auf dem Schulparkplatz behandelt habe, als er mir zum ersten Mal reinen Wein über meine Existenz einschenkte – wie ich beschloss, ihn aus meinem Leben zu verbannen, und ihn mit grausamen, von Angst getriebenen Worten wegschickte, statt mich einer Wahrheit zu stellen, auf die ich absolut nicht vorbereitet war.
Wir sind gar nicht so verschieden, Sabine und ich.
Ich weiß, wie es ist, wenn um einen herum auf einmal alles auf dem Kopf steht.
Und so sage ich nach einer Weile: »Es tut mir echt leid, dass ich dich damit so überfallen muss. Ich weiß, es ist eine ganze Menge zu verdauen. Aber ich wollte, dass du es weißt, ehe …«
Sie hebt den Kopf. Ihre Augen sind rot und voller Tränen, als sie mich ansieht.
»Ich wollte nur, dass du es weißt, ehe ich wieder in den Normalzustand zurückkehre.«
Sie blinzelt und schüttelt den Kopf. »Was?«, murmelt sie und wischt sich mit dem Ärmel das Gesicht. »Das verstehe ich nicht.«
Ich hole tief Luft, schaue auf meine Füße und schinde einen Moment lang Zeit, da ich erst die richtigen Worte finden muss. Dann sehe ich sie an. »Offen gestanden, bin ich mir gar nicht mal wirklich sicher, ob ich es so ganz begreife. Es ist eine so lange Geschichte, und es gibt so vieles zu erklären …
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