Evernight Bd. 2 Tochter der Dämmerung
entsetzten Ausdruck auf Danas Gesicht sah, hastete ich sofort an ihre Seite. »Ist es so schlimm?«
»Schlimm genug.« Ihr Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. »Das muss ein Autopsiemesser gewesen sein. Ich glaube nicht … dass der Arm … gebrochen ist … aber … Wie viel Blut?«
»Viel. Aber sie hat die Arterie nicht getroffen.« Immerhin wusste ich genug, um mir sicher zu sein, dass das Blut bei einer Arterienverletzung aus der Wunde sprudeln würde. Stattdessen floss es in einem breiten, roten Rinnsal hinab und tränkte ihr Hemd bis zum Ellbogen. »Ich werde das Messer nicht herausziehen. Die Wunde ist zu tief, als dass wir mit unserem Erste-Hilfe-Material irgendetwas ausrichten könnten. Wir sollten in die Notaufnahme gehen.«
»Und wie genau willst du das den Leuten vom Krankenhaus erklären?« Dana stöhnte und lehnte den Kopf gegen die Wand. Ich ahnte, dass sie kurz davor war, das Bewusstsein zu verlieren. »Nein, wir müssen von hier verschwinden.«
»Du musst dich medizinisch versorgen lassen!«
»Es gibt noch mehr Verbandszeug im Erste-Hilfe-Raum. Wir werden … schon damit klarkommen. Hilf mir nur beim Aufstehen, okay?«
»Okay.« Ich legte mir ihren unversehrten Arm um die Schulter und stützte sie auf dem Weg hinaus. Die Lichter dort waren heller, und ich sah das leuchtende Rot der Blutflecke zum ersten Mal richtig. Die Farbe kam mir beinahe unbeschreiblich schön vor.
Und dann spürte ich den Hunger.
Es war nicht so wie damals, als ich Lucas gebissen hatte. Dieses Mal war es anders, eher wie ein Grundbedürfnis und doch nicht weniger stark. Danas Blut roch wie ein Steak, wie das Meer, wie hundert andere wundervolle Dinge, nach denen ich mich sehnte und die ich schon zu lange entbehrt hatte. Als ich durch den Mund einatmete, konnte ich beinahe die kupferne Note schmecken, und meine Hand, die auf ihrer Schulter ruhte, spürte jeden einzelnen ihrer Herzschläge. Mein Kiefer schmerzte, als meine Reißzähne länger zu werden begannen. Ich konnte nicht denken, nicht sprechen, konnte nichts tun, sondern wollte einfach nur trinken.
Du musst dagegen ankämpfen.
Ich drehte den Kopf von Dana fort und presste die Augen fest zusammen. Dana murmelte: »Schon gut. Ich weiß, dass es schlimm aussieht.«
»Du musst mich nicht trösten.« Ich schämte mich so. »Du bist diejenige, die verletzt ist.«
»Aber ich weiß … dass diese Dinge einem Angst machen können, vor allem da du … nicht daran gewöhnt bist.« Vor jedem qualvollen Atemzug musste sie schlucken. »Du hast … so etwas … noch nie gesehen.«
Ich dachte daran, wie Lucas ausgesehen hatte, nachdem ich ihn zum ersten Mal gebissen hatte, und wie er völlig erschlafft vor meine Füße gefallen war. »Ich schätze, ich muss lernen, damit klarzukommen.«
Wir trafen uns auf dem Parkplatz mit Mr. Watanabe, und er brachte uns sofort zurück. Es stellte sich heraus, dass Dana nur eine Fleischwunde hatte, aber sie brauchte mich trotzdem, damit ich ihre Hand hielt, während Mr. Watanabe sie nähte. Ein paar Stunden später kehrten auch Lucas und der Rest zurück. Ich brauchte nicht zu fragen, wie die Jagd ausgegangen war, denn Kate sah entmutigt aus. Alle waren völlig erschöpft, und die Sonne war gerade erst aufgegangen.
Als Lucas mich in den Arm nahm, flüsterte ich ihm ins Ohr: »Ist sie davongekommen?«
Er streichelte mir mit dem Daumen über die Wange, während er nickte. »Immer in Sorge um irgendjemanden, was?« Er küsste mich sanft auf die Stirn, einfach so, vor versammelter Mannschaft, woraufhin Dana zum ersten Mal seit dem Zwischenfall im Krankenhaus lächeln musste.
Danach brach die Disziplin in der Gruppe zusammen - oder vielleicht wäre es angemessener zu sagen, sie wurde gelockert. Kate gab keine Befehle mehr, und anscheinend war erst mal nichts mehr zu tun. Manche schlurften zu einem Bereich, in dem mehrere Eisenliegen aufgestellt waren. Kate stellte eine tragbare Kochplatte an und begann damit, für einige Leute Frühstück zuzubereiten, und Mr. Watanabe setzte sich daran, akribisch alle Waffen zu katalogisieren. Lucas und ich halfen Dana dabei, es sich auf der Liege im Erste-Hilfe-Raum bequem zu machen.
»Es tut mir leid«, sagte sie, als sie sich vorsichtig sinken ließ. Ihre geflochtenen Zöpfe sahen auf dem weißen Kopfkissen wie dunkle Seile aus.
»Was tut dir leid?«, fragte ich. »Es ist doch nicht deine Schuld.«
»Ja, aber jetzt besetze ich den einzigen Raum hier, an dem du mit Lucas allein sein könntest.
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