Evernight Bd. 2 Tochter der Dämmerung
ein Schüler. Verhalte dich einfach ganz normal.«
»Ich versuch’s.«
Aber ich war diejenige, die Schwierigkeiten hatte, sich natürlich zu benehmen, denn die Person, die um die Flussbiegung kam, war Raquel.
»Hey«, sagte ich mit aufgesetzter Freude. »Ich dachte, ihr seid im Buchladen.«
»Mir war’s da zu langweilig, deshalb habe ich mich aus dem Staub gemacht«, sagte Raquel mit einem Achselzucken.
Na toll, dachte ich. Der arme Balthazar wird den Rest der Nacht damit zubringen, die ganze Stadt nach ihr abzusuchen.
»Und was ist mit dir? Ich dachte, du wolltest zum Kino, um deine Eltern zu treffen.« Raquel warf Dana einen misstrauischen Blick zu.
Die aber grinste und streckte ihre Hand aus. »Dana Tryon. Schön, dich kennenzulernen. Ich bin eine alte Freundin von Bianca, und wir sind uns gerade auf der Straße in die Arme gelaufen. Was für ein Zufall!«
»Oh, aha.« Raquel schüttelte ihr die Hand. »Kommst du aus Biancas Heimatstadt?«
»Von der guten, alten Arrowwood-Mittelschule«, fiel ich rasch ein, denn ich war dankbar, dass Dana so schnell geschaltet hatte. »Ja, wir haben da immer zusammen rumgehangen. Und als ich sie gerade so unvermutet wiedertraf, habe ich das Kino ganz vergessen.«
Raquel lächelte und schluckte die Geschichte. »Na, das ist doch super. Und lauft ihr hier jetzt einfach ein bisschen rum?«
»Ja, eigentlich schon.« Offenkundig hatte Raquel vor, sich uns anzuschließen. Wie sollte es uns da bloß gelingen, das Märchen von einer dicken Freundschaft aufrechtzuerhalten? Wir hatten uns erst zweimal vorher gesehen.
Dana schien damit keine Probleme zu haben. »Eigentlich wollte ich erst mal zurück in die Stadt, um was zu essen. Und Bianca wollte mir ein Weilchen Gesellschaft leisten. Willst du nicht mitkommen?«
»Na ja, eigentlich habe ich gerade was gegessen …« Zu meiner Überraschung konnte ich sehen, dass Raquel tatsächlich sehr gerne mit von der Partie sein würde. Danas fröhliches Wesen hatte einen raschen Sieg errungen. »Aber den Nachtisch habe ich ausgelassen. Dabei sah der Kuchen echt lecker aus.«
»Kuchen!« Dana grinste. »Kuchen mögen doch alle. Also los.«
Wir plauderten den ganzen Abend, und niemand hätte je geglaubt, dass Dana und ich beinahe Fremde waren. Raquel zumindest schien keinerlei Zweifel zu hegen, vor allem, weil wir uns sehr bemühten, uns im Gespräch auf sie zu konzentrieren, sie nach ihren Kunstprojekten ausfragten, dem Skateboardfahren und so weiter. Wenn das Thema von Raquels Interessen abschweifte, dann ließ sich Dana absurde Fragen bezüglich unserer angeblichen gemeinsamen Geschichte einfallen: »Wie geht’s denn eigentlich Hubert? Gott, wie habt ihr euch in Arrowwood gegenseitig angeschmachtet! Diese Brillengläser, dick wie Flaschenböden, haben dir ja nie was ausgemacht, oder? Auch nicht, dass du ihn immer auf diese Star-Trek-Conventions begleiten musstest.«
»Ach, du weißt doch«, stotterte ich, »ich stand schon immer auf intellektuelle Typen.«
»Würde man gar nicht denken, wenn man sich anguckt, mit wem du letztes Jahr ausgegangen bist«, bemerkte Raquel.
»Das ist ja interessant.« Dana grinste breit, und ich wusste, dass sie niemals der Versuchung würde widerstehen können, Lucas später damit aufzuziehen.
Ich ging auf Danas Spiel ein und fragte: »Und du, Dana? Sammelst du immer noch die Aufkleber von ›Mein kleines Pony‹? Dir haben nur noch zwei gefehlt, um dein Album vollzukriegen, als ich weggegangen bin.«
Raquel lachte laut auf, und Dana warf mir einen gespielt giftigen Blick zu - aber auch sie musste grinsen. »Ach, da bin ich rausgewachsen.«
Irgendwann entschuldigte sich Raquel, weil sie zur Toilette musste. Kaum war sie außer Hörweite, als Dana auch schon herausplatzte: »Also du und Lucas. Wann und wo?«
»Wir sollten uns am besten wieder hier in Riverton treffen, sagen wir vor dem Kino. Lass es uns am Samstag nach Erntedank versuchen, um acht Uhr abends.« Sicher würde Balthazar an diesem Tag die Erlaubnis erhalten, mit mir den Campus zu verlassen. »Bis dahin wird die Abriegelung ja wohl zu Ende sein, oder?«
»Sollte sie, ja.« Dana lächelte. »Ich habe meinen Teil dafür getan, die junge Liebe zusammenzuführen. Dagegen fühle ich mich ganz tugendhaft und sittsam.«
»Tugendhaft und sittsam? Warum glaube ich dir kein Wort?«
»Weil du viel zu klug dazu bist, daran liegt es.«
Zwischen dem Vortäuschen einer lebenslangen Freundschaft und dem Lachen über Danas Scherze blieb
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