Evernight Bd. 2 Tochter der Dämmerung
waren nicht zurückgekommen, und die, die es gewagt hatten, murmelten mit unheilschwangerer Stimme, man solle Aufpasser auf den Fluren aufstellen und nur noch abwechselnd schlafen, sodass jeweils einer der Zimmergenossen Wache halten konnte. Ich hörte sogar Spekulationen darüber, was es wohl kosten mochte, einen Exorzisten anzuheuern. Na klar , dachte ich, ich bin mir sicher, dass ein Priester mit seinem Kruzifix und einer Bibel hier wirklich höchst willkommen wäre.
Die menschlichen Schüler blieben verhältnismäßig ruhig bei der Vorstellung, dass ein Geist vor Ort sein Unwesen trieb. Selbst Raquel kam damit klar. »Es ist nicht derselbe Geist«, sagte sie nachdenklich, als sie ihren Schrankkoffer auspackte, der zu einem guten Teil mit Nahrungsmitteln vollgestopft war: mit Dosensuppen, Schachteln mit Crackern und Gläsern mit Erdnussbutter. »Wenn es … na ja, also wenn ich in Schwierigkeiten stecken würde, dann wüsste ich es inzwischen. Und ich nehme es lieber mit diesem Ding auf als mit dem, was bei meinen Eltern haust.«
»Wie hältst du es denn nur aus, da zu leben?«
»Dieses Jahr habe ich Weihnachten bei meiner älteren Schwester und ihrem Mann verbracht. Da ist alles in Ordnung. Meine Eltern denken, ich würde mich immer so anstellen, aber sie meinen auch, dass Frida einen ›guten Einfluss‹ auf mich ausübt.«
Ich dachte an all das, was meine Eltern mir erlauben würden, solange ich nur mit Balthazar zusammen war. »Mit jemandem herumzuhängen, der einen guten Einfluss ausübt, kann einem selbst dann nützlich sein, wenn man einen Mord begehen will, oder?«
Wir mussten beide lachen und teilten uns dann eine Tafel Schokolade.
Schon bald wurde deutlich, dass zumindest ein Vampir seine Ferien damit zugebracht hatte, über etwas anderes nachzusinnen als über die Geister. Und das hatte zur Folge, dass ich ein brandneues Problem am Hals hatte.
»Ich habe beinahe dreißig Jahre hinter mich gebracht, ohne je einen Reifen wechseln zu müssen«, murrte Courtney, während sie den Wagenheber hochkurbelte. »Wenn man jung, heiß und blond ist, vertrau mir, dann muss man sich nicht die Hände schmutzig machen. Da gibt es immer einen dummen Typen, der mehr als froh ist, einem zu helfen. Aber natürlich kann ich mir vorstellen, dass du eines Tages selbst in die Verlegenheit geraten könntest.«
»Würdest du mir bitte mal den Radmutternschlüssel reichen? Wir werden auch nicht schneller fertig, wenn du dich weiter nur beklagst.«
»Wie zickig!« Courtney zog ihre vollen Lippen ein Stück nach oben zu einem höhnischen Grinsen. »Was ist denn los, Bianca? Hast du vielleicht, ach, ich weiß ja auch nicht … Probleme mit deiner Beziehung?«
»Zwischen Balthazar und mir läuft es so gut wie immer.« Genau genommen stimmte das. Ich kniete auf dem kalten Gehweg, meine Wollhandschuhe waren bereits völlig ölverschmiert, und ich versuchte, mich auf die Arbeit zu konzentrieren, die wir zu erledigen hatten.
»Ich glaube dir, dass du meinst, die Wahrheit zu sagen«, fuhr Courtney fort. »Ich vermute, du weißt gar nicht, wohin Balthazar ohne dich geht.«
»Wovon sprichst du, bitte sehr?«
»Ungefähr um Silvester herum bin ich in Amherst zufällig Balthazar begegnet. Und zwar ohne dich.«
»Was hattest du denn in Amherst zu tun?«
»Ich kenne die Stadt zufälligerweise sehr gut, okay? Ich bin manchmal dort. Balthazar ebenfalls, aber offenbar, um jemand anderen als seine Freundin zu treffen. Ich an deiner Stelle wäre ja misstrauisch.«
Vermutlich war er dort gewesen und hatte vergeblich nach Charity gesucht. Meine Gesichtszüge entglitten mir, und Courtney feixte. Natürlich konnte sie nicht ahnen, warum mich ihre Nachricht so traf, aber das spielte keine Rolle. Sie hatte einen Schwachpunkt entdeckt, und sie würde mit Sicherheit genüsslich darauf herumtrampeln. Schnell antwortete ich: »Balthazar ist häufig an ganz unterschiedlichen Orten unterwegs. Und mir ist das sehr recht. Wir sind nämlich nicht an der Hüfte zusammengewachsen.«
»Zu dumm. An der Hüfte zusammengewachsen zu sein ist nämlich alles, worum es bei einer Beziehung geht.« Courtney zwinkerte, als sie mir das Werkzeug reichte. Ich riss es ihr aus der Hand und hoffte, sie würde sich damit zufriedengeben, mich mit der angeblichen Untreue meines Freundes aufzuziehen. Balthazar und ich waren beide auf unsere Tarngeschichte angewiesen, und wir konnten es beide ganz und gar nicht gebrauchen, dass uns irgendjemand allzu genau unter
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