Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte
praktisch sein ganzes Leben lang mit ihm Kontakt gehabt, aber sie war immer unsichtbar geblieben. Dies musste das erste Mal sein, dass er sie tatsächlich zu sehen bekam. »Wow!«, sagte er. »Oh, wow. Hey, du.«
»Hallo«, hauchte Maxie. Ich wusste, dass dies das erste Wort war, das sie je an ihn gerichtet hatte. Sie hatte die Linie überschritten, vor der sie mich immer bewahren wollte, und das gefiel mir. Begann sie, für sich selbst Entscheidungen zu treffen? Fing sie an zu begreifen, dass die Grenzen zwischen Vampiren, Geistern und Menschen so durchlässig waren wie die Grenze zwischen Leben und Tod?
»Willst du … hier ein Weilchen mit uns herumhängen?« Vic sah sich hektisch im Raum um, offensichtlich auf der Suche nach irgendetwas, das ihr gefallen könnte. »Wir könnten uns einfach nur unterhalten … Ich habe hier auch Musik …«
»Ich sollte jetzt gehen«, sagte Maxie. Doch bevor sie verschwand, fügte sie leiser hinzu: »Aber ich werde irgendwann wiederkommen.«
Vic grinste. »Großartig. Ich meine, das … das wäre toll!«
Maxie verblasste, aber ich konnte sie noch immer spüren. Sie schwebte langsam aus dem Zimmer, als wäre sie viel zögerlicher, als ihr lieb war. Als sie schließlich durchs Dach hindurch verschwunden war, drehte Vic sich zu mir um und sagte: »Das war unglaublich.«
»War es schön, sie jetzt endlich kennenzulernen?« Ich grinste zu ihm hinauf. Sein Mund stand halb offen und konnte sich nicht zwischen Lächeln und ungläubigem Staunen entscheiden.
»Ich schätze … Ich habe nie gemerkt … Ich meine, ich wusste, dass sie eine Sie war und so, aber ich habe nie wirklich begriffen, dass mein Geist ein Mädchen ist.«
Ranulf sagte: »Vic hat noch nicht gelernt, wie man mit dem weiblichen Geschlecht umzugehen hat.«
»Bringst du mir deine Tricks bei, Kumpel?«, fragte Vic.
»Man muss es einfach nur mehrere Jahrhunderte lang beobachten.«
»Na super.« Vic seufzte und warf seinen Rucksack auf den Boden.
»Bin gleich wieder da, ja?« Ich streifte mein Armband ab und machte mich unsichtbar, um ebenfalls durchs Dach hinaufzuschweben.
Wie ich vermutet hatte, fand ich Maxie hoch oben am Himmel. Wir konnten einander ganz gut erkennen, auch wenn wir nur neblige Umrisse waren, die unten auf dem Boden niemandem auffallen würden.
»Ich habe mit Vic gesprochen!«, sagte sie. Ihr Lächeln verschmolz mit dem nachmittäglichen Sonnenschein. »Ich habe mit ihm gesprochen, und er hat mir geantwortet!«
»Da siehst du mal, wie viel Spaß es macht, die Grenzen zu überschreiten.«
»Es ist nicht falsch, wenn man sich weiterbewegt«, sagte sie mit festerer Stimme. »Du weißt, wie viel besser als hier es dort ist. Aber … solange wir noch zum Teil hier sind …«
»Ich denke, in unserem Leben nach dem Tod muss es um diejenigen gehen, die wir lieben.« Ich schwebte etwas höher, allerdings vor allem aus Neugier, wie weit empor wir gelangen konnten. »Alles andere ergibt keinen Sinn.«
»Aber ich habe Vic vorher gar nicht gekannt. Nicht, solange ich noch am Leben war«, protestierte Maxie.
»Ich glaube, es spielt keine Rolle, wann man anfängt, jemanden zu lieben. Nur die Liebe selbst zählt.«
Das Wort »Liebe« auszusprechen, reichte schon, um mich an Lucas und die Neuigkeiten zu erinnern, die ich so gerne mit ihm teilen wollte, dass es mir auf der Seele brannte. Aber ich würde noch eine weitere halbe Stunde vertrödeln müssen. Also stieg ich noch weiter hinauf, und Maxie folgte mir.
»Bis in welche Höhe können wir schweben?«, fragte ich.
»Oh, ganz verrückt weit hoch. Noch über die Troposphäre hinaus. Du kannst dir auch tagsüber die Sterne anschauen, wenn du möchtest.«
»Wirklich?« Ich konnte jetzt auf der Stelle Sterne angucken? Jederzeit? Wann immer ich das wollte? Natürlich hatte ich mein Teleskop nicht bei mir, aber trotzdem würde es etwas zum Anschauen geben, was wie die Aufnahme eines Hubbleteleskops aussehen würde.
»Lass es uns versuchen, okay?«
Maxi fing an zu lachen, und ich wusste, dass es das war, wonach sie sich die ganze Zeit gesehnt hatte. Es ging ihr nicht darum, dass ich mich für eine Seite entschied. Sie wollte einfach nur eine Gefährtin für diese Zwischenwelt haben. »In Ordnung. Klar.«
Wir stiegen höher und höher, bis die Evernight-Akademie nur noch ein kleiner Fleck auf dem Boden und schließlich ganz und gar unter den Wolken verschwunden war. Das Sonnenlicht über uns war gleißend. Blendend.
Dann erschien ein riesiger, silbriger
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