Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte
Umriss in der Ferne, der sich schneller, als ich es mir hätte vorstellen können, näherte. »Was in aller Welt ist denn das?«
»Mach dich bereit«, schrie Maxie.
Ist das … Ist das etwa ein Flugzeug?
Eine Linienmaschine schoss unmittelbar auf uns zu, und schon konnte ich Einzelheiten erkennen – die vorderen Fenster, die Piloten im Cockpit, und dann, wummm , rasten Maxie und ich geradewegs durch die Maschine hindurch, durch die vordere Kabine, den langen Gang hinab, an Dutzenden von Passieren entlang, vorbei am kleinen Getränkewagen, über die Heckflosse hinaus – und dann war der Flieger weg. Wir waren mitten durch ihn hindurchgerauscht.
Lange Zeit schwebten Maxie und ich benommen in der Luft. Dann schließlich sagte sie: »Glaubst du, uns hat irgendjemand im Flugzeug gesehen?«
»Das ging alles viel zu schnell«, antwortete ich. »Aber sie werden hinterher was von Turbulenzen erzählen.«
Sie fing an zu lachen, und ich stimmte mit ein.
Maxie hätte liebend gerne auch für den restlichen Luftverkehr über Boston für Luftlöcher gesorgt, aber ich trennte mich von ihr, als ich das Gefühl hatte, dass Lucas’ Unterricht vorbei sein müsste. Maxie und ich hatten uns jedoch fest vorgenommen, uns bei nächster Gelegenheit gemeinsam Sterne anzuschauen. Allein die Aussicht darauf erfüllte mich mit Vorfreude, aber je mehr ich mich der Erde näherte, umso vordringlicher erschienen mir meine augenblicklichen Sorgen.
Ich fand Lucas beim Pavillon, wo er wie üblich auf mich wartete. Seinen Rucksack hatte er neben sich auf dem Boden abgestellt, und er saß, die Arme auf die Knie gestützt, da und ließ den Kopf hängen. »Du siehst müde aus«, sagte ich und wurde zu einem weichen Nebelfeld neben ihm.
»Ich bin auch müde.«
»Konntest du nicht schlafen, weil du dir Sorgen um mich gemacht hast?«
»Ja, genau«, bestätigte er. »Aber ich wusste, dass du auf dich selber aufpassen kannst, deshalb bin ich wach geblieben, um zu lernen. Und Musik zu hören. Im Internet zu surfen. Und was auch immer ich sonst so tun konnte, um nicht schlafen gehen zu müssen.«
Ich musste nicht nach dem Grund fragen. »Charity.« Lucas antwortete nicht, aber er schluckte schwer, sodass sein Kehlkopf sich deutlich sichtbar bewegte. Ich strich ihm sanft über die Wange und hoffte, dass er die kühle Berührung spüren konnte. »Wird es schlimmer mit ihr?«
»Schlimmer? Nein. Sie hat meine Träume von Anfang an so entsetzlich wie möglich gestaltet, und seitdem … Nun ja, das muss man ihr lassen: Sie hat Durchhaltevermögen. Es ist jede Nacht entsetzlich. Jede einzelne Nacht.«
Lucas stand unvermittelt auf. Er umklammerte die schmiedeeiserne Einfriedung des Pavillons, und jeder Muskel seines Rückens war so angespannt, dass ich ihn unter Lucas’ Pullover seiner Schuluniform erkennen konnte. »Manchmal ist es wieder Erich, der mir damit droht, dich mit einem Pflock zu foltern, der mit Weihwasser vollgesogen ist. Manchmal trinken andere Vampire von deinem Blut, und aus irgendeinem Grund tötet dich das, anstatt dich zu einer der ihren zu machen. Manchmal schlägt dir meine Mom den Kopf ab. Oder diese betrunkenen Typen – erinnerst du dich noch an unsere erste Verabredung? In meinen Träumen versuchen sie nicht, dich zu beschützen, sondern sie wollen dich verbrennen. Alle Träume handeln davon, wie ich dich verliere. Immer und immer wieder.«
Der erstickte Schmerz in seiner Stimme ließ mich wünschen, ich könnte es riskieren, eine körperliche Gestalt anzunehmen und ihn in die Arme zu schließen.
»Charity hat dich nur deshalb verwandelt, um dich mir wegzunehmen«, sagte ich. »Es ist mein Fehler.«
»Nein, es ist nicht dein Fehler«, entgegnete Lucas. Ich wünschte, ich wäre mir da ebenso sicher, wie er klang. »Aber ja, Charity gefällt die Idee, dass ich dich für immer verloren habe. Sie findet die Idee prima, dass sie als Endlosschleife durch meine Träume spuken kann.«
»Bitte, lass mich noch mal im Traum zu dir kommen. Wenn ich in deinen Träumen wäre, könnte ich irgendwie zu dir durchdringen.«
Lucas schüttelte den Kopf. »Auf gar keinen Fall. Alles, was sie dir dort antut, kann dir wirklichen Schaden zufügen. Dieses Risiko werde ich nicht eingehen.«
Selbst wenn die einzige Alternative immerwährende Qual wäre? Ich hasste die Vorstellung, aber im Augenblick hatten wir keine bessere Wahl.
»Bianca, ich wollte dich schon seit einer ganzen Weile etwas fragen. Wie geht es eigentlich nach Evernight weiter?«,
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