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Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte

Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte

Titel: Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Gray
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dem einzigen Unterschied, dass sie ihren Ursprung nicht in mir hatten. Die Geister zwangen mich, die Bilder mit ihnen zu teilen: Vampire, jeder einzelne von ihnen entsetzlich, wandelten wie Schüler von Evernight herum, ungewaschen, blutig und mit hervorstehenden Reißzähnen. Sie griffen die menschlichen Schüler auf den Gängen oder in den Klassenräumen an, und ein Überfall war grausamer als der nächste.
    »Nichts davon ist real«, sagte ich laut und hoffte, dass die Geister mich hören konnten. »Sie lassen die menschlichen Schüler hier fast immer in Ruhe, und wenn es jemand vergeigt, dann bekommt er es mit Mrs. Bethany zu tun. Die Menschen, denen ihr hierher gefolgt seid, sind in Sicherheit.«
    Die Geister schienen mir nicht zu glauben. Die Bilder wurden noch intensiver, kamen näher. Jetzt waren Schreie zu hören, und ich konnte Blut riechen. Angewidert versuchte ich, mich abzuwenden, aber wie kann man die Augen vor etwas verschließen, das in seinem eigenen Kopf ist?
    Einer der Vampire in meiner Vision wurde plötzlich blau und verwandelte sich in Eis. Fasziniert und voller Entsetzen sah ich zu, wie tiefe Risse in seinem fest und starr werdenden Fleisch aufklafften und seine Wangen, seine Lippen und seinen ganzen Kopf überzogen. Er stürzte zu Boden, Blut spritzte. Ich wusste, dass die Geister hofften, den Vampiren eines Tages ein solches Schicksal bescheren zu können.
    Und sie wollten, dass ich ihnen dabei half.
    »Ich werde euch nicht dabei helfen, irgendjemanden anzugreifen!«
    Daraufhin war ich wieder allein. Die Bilder verschwanden zwar nicht und entfernten sich auch nicht von mir, aber ich wusste einfach, dass mir niemand mehr Aufmerksamkeit zollte.
    Was hatten die Geister vor? Wenn ich schon vorher Angst vor ihnen gehabt hatte, so war das Gefühl jetzt noch weitaus stärker. Ich hatte einige neue Kräfte und Fähigkeiten, aber nichts konnte mich oder die, die ich liebte, vor einem solchen Angriff beschützen. Konnten die Geister Lucas etwas antun? Balthazar? Meinen Eltern? Und wenn sie es versuchten, würde ich ihnen zu Hilfe kommen können?
    Nein, dachte ich, und tiefe Niedergeschlagenheit erfüllte mich. Ich kann keinem von ihnen helfen. Ich bin nutzlos.
    Ich bin tot.
    Ich schwebte durch die große Halle im Erdgeschoss, die nun, da sich keine Schüler mehr darin drängten, viel größer wirkte. Dies war immer ein beeindruckender Raum gewesen, aber er breitete sich nun so riesig und schweigend aus, dass er mir noch schöner und ehrfurchteinflößender vorkam. Das Mondlicht fiel durch die vielen Buntglasfenster herein, die vom Boden bis zur Decke reichten, aber am hellsten schien es durch eine einfache Scheibe. Das ursprüngliche Buntglas war von einem Mitglied des Schwarzen Kreuzes zerstört worden, das auf der Flucht gewesen war – einem Vorgänger von Lucas, der vor langer, langer Zeit die Evernight-Akademie besucht hatte. Auch Lucas hatte dieses Fenster einst kaputtgemacht, vielleicht, um die Familientradition fortzuführen. Ich hatte mich immer gefragt, warum Mrs. Bethany es nicht so ersetzen ließ, dass es wie die anderen aussah.
    Nun endlich begriff ich es. Sie hatte es so gelassen, damit sie sich immer an den Vorfall erinnern und nie wieder unvorsichtig werden würde.
    Dieses Gebäude war voller Narben. Lucas war voller Narben. Und ich war es ebenfalls. Es fühlte sich an, als ob meine Wunden nie mehr richtig verheilen würden. Ich war für immer gefangen in meinem Sehnen, abgeschnitten von der Welt der Lebenden. Lucas litt auf seine eigene Weise. Der Hauptunterschied war, dass er seiner Existenz aus eigenen Kräften ein Ende setzen konnte, was er vermutlich schon längst getan hätte, wenn er nicht um meinetwillen weitermachen würde.
    Im Augenblick erschien es mir so, als ob ich jeden verletzte, der je versucht hatte, mich zu lieben. Ich fühlte mich wertlos, und ich wollte aufgeben.
    Ich sah, dass ich mich ganz in der Nähe der Schulbibliothek befand. Wahrscheinlich würde ich dort auf keine weiteren Geister stoßen, aber vielleicht ja doch. Also beschloss ich, hineinzugehen und mich umzusehen. Zu diesem Zeitpunkt breitete sich eine Frage in meinem Kopf aus, die mir wichtiger war als alle anderen: Gab es irgendeine Möglichkeit für Geister, zu … nun ja, zu sterben? Noch einmal? Diesmal für immer?
    Nicht, dass ich in diesem Moment etwas so Dramatisches im Sinn gehabt hätte, aber ich musste wissen, ob es je einen Ausweg geben würde. Und vielleicht begann ich bereits, ihn in Betracht

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