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Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte

Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte

Titel: Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Gray
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zu ziehen.
    An den meisten Tagen wäre die Bibliothek ein Ort gewesen, der mich aufgeheitert hätte. Ich liebte die schweren Eichentische, die hohen Wände, an denen sich die Bücher in Richtung Decke türmten, den muffigen Geruch von altem Papier und die schweren Bronzeleuchter, die im Laufe der Zeit dunkel angelaufen waren. Die Bücherei erinnerte mich daran, wie ich hier mit Raquel herumgehangen hatte, mit Lucas geflirtet oder mit Balthazar gelernt hatte. Sie erinnerte mich daran, wie ich mich leicht gefühlt hatte und glücklich und lebendig gewesen war.
    Aber ich gehörte hier nicht mehr her.
    Entschlossen glitt ich in den hinteren Teil der Bibliothek und fragte mich, wo die Bücher zum Thema Geister untergebracht sein mochten …
    … und mit einem Mal spürte ich, wie die Wand mich zu sich hinzog.
    Es war ein übelkeiterregendes, überwältigendes Gefühl, wie der schreckliche Moment, in dem man in großer Höhe über einen Rand schaut und eine Sekunde lang glaubt, man würde hinunterspringen. Nur dass der Sog von mir Besitz ergriffen hatte, ob ich es wollte oder nicht. Die östliche Wand der Bücherei war mit einem seltsamen Magnetismus versehen, der sich mit meinem tiefsten Inneren verband. Ein heftiges Vibrieren erstickte jedes Geräusch und betäubte mich beinahe, und eine Art weißes Flimmern vernebelte mir die Sicht.
    Ich versuchte, eine körperlichere Gestalt anzunehmen, sodass ich mich vielleicht nach hinten hätte lehnen können, aber es gelang mir nicht, meinen Körper fest werden zu lassen. Da war ein merkwürdiger schwarzer Spalt, nicht in der Welt, sondern in meiner eigenen Wahrnehmung. Er öffnete sich vor mir und zerrte mich voran.
    Aus dem Inneren des Spaltes konnte ich entsetzliche Schreie hören. Ich war mir sicher, dass dies die Schreie anderer Geister waren, die von der gleichen Kraft, die auch mich in den Klauen hielt, gefangen genommen worden waren. Waren es dieselben Stimmen, die mich schon vorher so gequält hatten? Andere? Es gab keine Möglichkeit, das herauszufinden. Auf jeden Fall konnten sie sich nicht selbst befreien, und mir selbst konnten sie erst recht nicht helfen.
    »Ist irgendjemand hier?«, rief ich. »Helft mir doch! Kann mich irgendjemand hören?«
    Keine Antwort.
    Tja, du hast doch sterben wollen , höhnte eine bösartige, leise Stimme in meinem Kopf. Ich fragte mich, ob ich einen Fehler machen würde, wenn ich jetzt gegen diesen Sog ankämpfte. Vielleicht sollte ich es einfach geschehen lassen …
    Aber dann fiel mir ein: Wenn ich das täte, würde ich Lucas niemals wiedersehen und auch sonst keinen, den ich liebte.
    »Lucas!«, schrie ich. In meinem Geist stiegen die Bilder der albtraumhaften Szene auf, in der ich ihn zurückgelassen hatte, und ich stellte mir vor, wie ich selbst im Aktenraum auftauchte. Das Zimmer nahm um mich herum Gestalt an. Lucas und Erich, beide schwitzend und blutbesudelt, waren wieder in einen Kampf verwickelt – in einen Traumkampf, der so viel länger andauerte, als es bei einer tatsächlichen Auseinandersetzung denkbar gewesen wäre.
    Der Albtraum hatte wieder von vorne angefangen, und er quälte Lucas offenbar die ganze Nacht lang. Charity war einfach verschwunden, wie das nur in Träumen möglich war, aber alles andere war genauso entsetzlich wie vorher. Dieses Mal würde ich den Traum durchbrechen müssen. Noch einmal schrie ich mit aller Macht: »Lucas!«
    Er wandte erschrocken seinen Kopf von Erich ab. Auf Lucas’ Gesicht spiegelte sich eine solche Verwirrung wider, dass mir klar war, er konnte mich nicht sehen, aber wenigstens konnte er mich hören.
    »Lucas, das ist ein Traum, nur ein Traum. Ich bin in der Bücherei, und irgendetwas hat mich gefangen genommen; du musst mich finden!«
    Die Szene verblasste so schnell, wie sie aufgetaucht war. War ich zu Lucas durchgedrungen, oder hatte mir meine verzweifelte Hoffnung einen Streich gespielt? Der dunkle Spalt hatte bereits fast alles verschluckt, was ich hatte sehen und spüren können. Hören konnte ich nur noch das Jammern der anderen Geister.
    Ich wollte nach Maxie oder Christopher rufen, aber ich wusste nicht, ob sie mich würden hören können oder ob Maxie reagieren würde, wenn ich sie um Hilfe anflehte. Und was, wenn auch sie eingesogen werden würden?
    Mich durchfuhr ein Schauer, und ich konnte fühlen, wie sich die nebligen Umrisse meiner Glieder aufzulösen begannen. O nein, nein, nein, das ist es, das ist also das Ende …
    »Bianca!«
    »Lucas!« Wo war er? Ich konnte nur

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