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Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte

Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte

Titel: Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Gray
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»Du hast mir die Wahrheit gesagt. Das ist das Wichtigste.«
    Lucas umarmte mich, so kräftig das in meinem halbfesten Zustand möglich war. »In meinen Tagträumen bin ich die ganze Zeit mit dir zusammen«, flüsterte er in mein Haar. »Die ganze Zeit. Wenn ich mich nicht daran erinnern könnte, wie es war, bei dir zu liegen, dann wüsste ich nicht, wie ich noch weitermachen sollte. Aber manchmal denke ich: Wenn ich mit alldem abschließen könnte, es einfach beenden könnte, während ich bei dir bin, dann wäre ich näher am Himmel, als es für mich sonst je möglich sein wird …«
    »Lucas, nicht!«
    »Das würde ich dir nie antun«, sagte er. »Niemals. Aber … Bianca, wir können es nicht riskieren.«
    Ich nickte und akzeptierte die Grenze zwischen uns. Wir würden ja nicht für immer darauf verzichten müssen, nur so lange, bis es Lucas gelang, seinen Blutdurst unter Kontrolle zu halten und den Ekel vor einem, wie er es war, zu überwinden, den ihm das Schwarze Kreuz eingepflanzt hatte. Aber wie viel Zeit würde vergehen, bis dieser Tag endlich kommen würde?
    Würde es diesen Tag überhaupt je geben?
    Als ob Lucas meine Sorge gehört hatte, sagte er: »Es wird nicht mehr lange dauern.«
    »Es wird nicht mehr lange dauern«, wiederholte ich, und es war ein Versprechen an ihn und an mich.
    Später in dieser Nacht, als ich noch benommen war von der Enttäuschung und der Sorge um Lucas, schwebte ich hinab in den Hauptbereich der Schule. Um diese Zeit war alles wie ausgestorben. Selbst die Vampire schliefen.
    Wie viele Vampire vollziehen den Übergang nicht ?, fragte ich mich. Wie viele geben dem Selbstmordimpuls nach oder dem Blutdurst oder beidem ? Ich nahm an, dass die Zahl viel größer war, als meine Eltern mich je hätten vermuten lassen. Wieder einmal zehrte die Sehnsucht nach ihnen heftig an mir. Es war nicht nur so, dass ich Mom und Dad um ihrer selbst willen vermisste. Aber wenn wir miteinander hätten reden können – uns wirklich unterhalten, ohne all diese Lügen zwischen uns –, dann würde ich vielleicht erfahren, wie ich Lucas helfen konnte, sein Schicksal anzunehmen.
    Vielleicht lag es daran, dass ich mich zu sehr konzentrierte, während ich über diese Fragen nachgrübelte. Ich war mehr in meine eigenen Gedanken versunken, als dass ich im Hier und Jetzt war. Vielleicht lag es auch an dem Ort, an dem ich mich zurzeit befand, denn die Fallen und die Durchgänge von Evernight schafften eine Art spiritueller Architektur innerhalb der Steine. Was auch immer es war, ich wurde mir mit einem Schlag bewusst, dass ich nicht allein war.
    Ich konnte die Geister spüren.
    In diesem Augenblick waren sie deutlicher als je zuvor zu bemerken. Anstatt nur vage zu ahnen, dass sie da waren, konnte ich nun grob schätzen, wie viele von ihnen mich umgaben, und es waren einige Dutzend oder noch mehr. In meiner Wahrnehmung schien jeder Geist für sich erkennbar und doch Teil des Ganzen zu sein. Sie waren wie die Sterne, die zwar als einzelne, strahlende Punkte am Himmel auszumachen waren, jedoch nur zusammen dann auch Sternbilder ergaben. Mir schien es, als ob ich urplötzlich zum ersten Mal den Nachthimmel sähe, als ob ich mein ganzes Leben lang blind gewesen wäre und nun von ihrem Anblick geblendet würde.
    Nur dass Sternbilder wunderschön und friedlich waren, während das, was ich um mich herum wahrnahm, von Verzweiflung und Wahnsinn erfüllt war. Anstatt geblendet zu sein, spürte ich eisige Furcht nach mir greifen.
    Einige Geister schwebten für sich allein und waren in die winzigen Spalten zwischen den Steinen und den Rändern der Fensterscheiben eingezwängt. Es war, als würden sie ihre Köpfe gegen die Wände schlagen, sich zusammenpferchen und sich selbst Schmerzen zufügen, nur um sich daran zu erinnern, dass sie noch immer existierten.
    Diejenigen, die in den Fallen festsaßen, waren am schlimmsten, denn von ihnen ging nichts als purer Schmerz aus. Sie waren zu einem einzigen, nicht enden wollenden Schrei geworden.
    Und dann waren da noch andere, die dicht aneinandergedrängt verharrten. So, wie ich ihre Anwesenheit spüren konnte, konnten auch sie mich wahrnehmen.
    Erneut stürmten ihre Visionen auf mich ein.
    Ich sah Mrs. Bethany vor meinem inneren Auge auftauchen. Sie war keine Ausgeburt meiner eigenen Vorstellungskraft, sondern ihr Bild wurde in meinen Kopf hineinprojiziert wie ein Film auf eine Leinwand. Etwas zerriss sie, und zwar ganz buchstäblich. Knochen und Sehnen, Blut und Eingeweide

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