Evernight Bd.1 Evernight
niederen Aufgaben zu schade?«
»Wenn ich auf diese offensichtliche Weise bestraft werde, wird Lucas wissen wollen, warum. Wir wollen doch nicht, dass er irgendwelche Fragen stellt, oder?«
Das war ein wichtiger Punkt. Mrs. Bethany nickte kurz, aber ich konnte sehen, wie wenig es ihr gefiel, dass ich an etwas gedacht hatte, was ihr entgangen war. »Dann werden Sie einen zehnseitigen Aufsatz schreiben über… sagen wir… die Verwendung von Briefen in Romanen des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts. Abgabe in zwei Wochen.«
Es sprach dafür, wie niedergeschlagen und aufgelöst ich bereits war, dass diese Aufgabe die Sache auch nicht mehr schlimmer machte. Mrs. Bethany trat näher an mich heran, und das gebauschte Rockteil ihres Kleides raschelte wie die Flügel eines Vogels. Der Duft von Lavendel waberte wie Rauch um mich herum. Es war schwer, ihr in die Augen zu sehen; ich fühlte mich so ausgeliefert und so beschämt. »Seit mehr als zweihundert Jahren dient die Evernight-Akademie als Zuflucht für unsere Art. Diejenigen von uns, die jung genug aussehen, um Schüler zu sein, können hierherkommen, um zu erfahren, wie sich die Welt verändert, sodass sie in die Gesellschaft zurückkehren und sich frei bewegen können, ohne Verdacht zu erregen. Dies ist ein Ort zum Lernen. Ein sicherer Ort. Und das kann er nur bleiben, wenn Menschen außerhalb unserer Mauern - und nun auch innerhalb unserer Mauern - ebenfalls in Sicherheit sind. Wenn unsere Schüler die Kontrolle verlieren und sich an menschlichem Leben vergreifen, dann wird schon sehr bald ein Verdacht auf Evernight fallen, und wir werden unsere Zufluchtsstätte verlieren. Zwei Jahrhunderte Tradition würden zu Ende sein. Ich habe diese Schule beinahe die ganze Zeit über geleitet, Miss Olivier. Ich habe nicht vor, mit anzusehen, wie Sie oder irgendwer sonst das Gleichgewicht stören. Habe ich mich ganz deutlich ausgedrückt?«
»Ja, Ma’am«, flüsterte ich. »Es tut mir so leid. Und es wird nie wieder geschehen.«
»Das sagen Sie jetzt.« Sie warf mit kalter Neugier einen Blick auf Lucas. »Wir werden sehen, was geschieht, wenn Mr. Ross wieder erwacht.« Dann rauschte sie aus dem Zimmer, um zum Ball zurückzukehren.
Es war eine seltsame Vorstellung, dass nur einige hundert Meter entfernt die Leute noch immer Walzer tanzten.
»Ich bleibe bei Lucas«, sagte Dad. »Celia, du bringst Bianca zurück zur Schule.«
»Ich kann jetzt nicht zurück in mein Zimmer gehen. Ich will hier sein, wenn Lucas aufwacht«, flehte ich.
Mum schüttelte den Kopf. »Es ist für euch beide besser, wenn du nicht hier bist. Deine Anwesenheit könnte ihn daran erinnern, was wirklich geschehen ist, und Lucas muss vergessen. Aber weißt du was? Komm doch mit in dein altes Zimmer. Nur für heute Nacht. Das wird niemandem etwas ausmachen.«
Mein gemütliches Zimmer ganz oben im Turm war mir nie einladender vorgekommen. Ich wollte sogar die Gargoyle wiedersehen. »Das klingt toll. Ich danke euch beiden so sehr für alles.« Wieder traten mir die Tränen in die Augen. »Ihr habt letzte Nacht Lucas und mich gerettet.«
»Sei doch nicht so melodramatisch.« Dads Lächeln milderte seine Worte ab. »Lucas hätte in jedem Fall überlebt. Und es war auch klar, dass du irgendwann jemanden beißen würdest. Ich wünschte, du hättest noch eine Weile gewartet, aber ich schätze, unser kleines Mädchen musste einfach mal erwachsen werden.«
»Adrian?« Meine Mutter packte meinen Vater an der Hand und zog ihn aus dem Zimmer. »Wir sollten über diese Sache reden.«
»Sache? Welche Sache denn?«
»Die Sache auf dem Flur.«
»Oh.« Mein Vater begriff es im gleichen Augenblick wie ich. Mum hatte nach einem Vorwand gesucht, damit ich kurz mit Lucas allein sein konnte.
Kaum dass sie gegangen waren, setzte ich mich auf die Bettkante neben Lucas. Er sah noch immer schön aus, trotz seiner bleichen Haut und der dunklen Ringe unter seinen Augen. Sein bronzefarbenes Haar wirkte neben sei ner Blässe beinahe braun, und als ich meine Hand auf seine Stirn legte, fühlte sie sich kühl an.
»Es tut mir so leid, dass ich dich verletzt habe.« Eine heiße Träne rann mir über die Wange. Der arme Lucas, der immer versucht hatte, mich vor aller Gefahr zu beschützen. Er wäre nie darauf gekommen, dass ich die Gefährliche war.
Später in der Nacht starrte ich auf mein wunderbares Kleid, das nun voller Blut war. Mum hatte es an den Haken an meiner Zimmertür gehängt. »Ich hatte gedacht, der Ball
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