Evianna Ebel und die Tafeln des Schicksals
andere. Plötzlich stieg grüner Nebel in dunstigen Schwaden vom Boden auf. Evianna spürte den eisigen Hauch, als sich ganz in ihrer Nähe ein Dimensionentor öffnete. Sie trat aus dem Kreis. Die Blutstropfen auf dem Boden glühten, als wären sie radioaktiv. Gleich darauf fegte ein modrig riechender Wind den Nebel der Zwischenwelt beiseite. Das Tor zum Jenseits war offen, die Energie wirbelte wie ein Tornado innerhalb des Kreises, bis sich in dessen Mitte ein Wesen manifestierte, das langsam immer mehr Gestalt annahm.
Schließlich legte sich der Wind aus dem Jenseits. Es wurde ruhig im Raum. In der Mitte des Kreises stand ein ausgewachsener Dämon. Und er lächelte. Dabei zeigte er seine messerscharfen, spitzen Zähne, die ganz und gar nicht zu seinem widderähnlichen Kopf zu passen schienen. Evianna nickte ihm zu und ließ sich im Schneidersitz nieder, wobei sie darauf achtete, den Kreis nicht versehentlich zu berühren.
Auch der Dämon faltete seine langen, sehnigen Beine und ließ sich im Schneidersitz nieder, wobei seine Gestalt jedoch gute fünf Zentimeter über dem Boden schwebte. „Hallo, Shak. Ich habe eine Frage an dich und du wirst sie wahrheitsgemäß beantworten.“
„Und wie immer wird es mir eine Freude sein, dir zu dienen, Evianna Ebel“, schmeichelte er. Seine klauenartigen Finger berührten einen der drei Blutstropfen und es schien als sauge er ihn dadurch auf. Kurzzeitig schimmerte seine Haut rot. „Spar dir das Gesäusel. Und versuch’ diesmal keine Tricks, verstanden?“ Er nickte lächelnd und seine Gestalt begann dabei, sich langsam um sich selbst zu drehen.
„Ich hab’ dir doch von den verschwundenen Menschen erzählt.“
„Und ich habe gesagt, dass ich darüber nichts weiß.“
Evianna nickte verächtlich schnaubend. „Mal abgesehen davon, dass ich dir das nicht glaube: ich bin bei Gabrielgewesen.“
Entzückt sah der Dämon auf. „Aber - wie ich sehe - lebst du noch. Wie schade.“ Mit einer Handbewegung wischte Evianna die Worte beiseite. „Du wirst mich noch früh genug in die Finger kriegen, aber bis dahin wirst du das tun, was ich von dir verlange.“
Wieder nickte Shak höflich, obwohl Evianna klar war, dass er log und er keine Möglichkeit auslassen würde, ihr zu schaden. Deshalb musste sie ihre Worte auch so präzise wie möglich wählen. Das hielt das Risiko, dass etwas schief ging, gering. „Er weigert sich, mir bei der Suche nach den Tätern zu helfen, doch er gab mir den Tipp, nach sieben Geschöpfen des Bösen zu suchen. Sie sind zuständig für das Gleichgewicht zwischen Mensch und Vampir und ich erwarte, dass du mir sagst, wer diese Sieben sind und wo ich sie finden kann.“
Shak drehte sich unbeeindruckt weiter im Kreis. „Ah, ich verstehe und ich weiß, wen du meinst.“
„Du kennst sie?“, fuhr Evianna auf.„Wer sind die? Sind sie für das Verschwinden der Menschen verantwortlich?Und wie mache ich sie unschädlich?“
Shak lächelte. Ihr Eifer amüsierte ihn offenbar. „Wie war noch mal die Frage?“ Evianna beherrschte sich mühsam. „Wer sind sie und wo finde ich sie?“, konkretisierte sie die Frage.
Lächelnd schüttelte Shak den Kopf. „Evianna, Evianna, kleine Evianna. Du weißt, wie das Spielchen läuft.“
Evianna seufzte. Natürlich wusste sie, worauf er hinaus wollte. Keiner dieser beknackten Dämonen tatetwas umsonst. „Also, was willst du?“, fragte sie ungeduldig.
„Du weißt, was ich will.“
„Ja, aber davon steht nichtszur Verhandlung.“ Sie würde ihm kein Stück ihrer Seele opfern, auch kein winzig kleines.„Denk’ dir was anderes aus.“
„Und wenn ich nicht will?“
„Dann ist unser kleines Gespräch hiermit beendet.“ Evianna erhob sich. „So wichtig ist mir die Sache nicht.“
Der Dämon hielt in seiner kreiselnden Bewegung inne und sah erschrocken zu ihr auf. „Nein, nein. Setz’ dich wieder. Wir werden schon etwas finden.“
Evianna zögerte absichtlich ein wenig bevor sie sich wieder setzte. Er durfte keinesfalls erfahren, wie viel ihr wirklich an seiner Antwort lag.
„Lass’ mich nachdenken“, murmelte Shak, dabei wiegte er den Kopf hin und her. Dann schien ihm etwas eingefallen zu sein. „Ich will die Seele des nächsten Mischwesens, dasdu killst.“
„Und warum gerade die eines Mischwesens und nicht die eines Menschens?“ Shak hob die Schultern. „Die Seelen der Mischwesen sind zurzeit rar. Menschliche Seelen hingegen gibt es seit dem Polsprung wie Sand am Meer. Es wird noch ewig dauern, sie alle wieder
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