Evianna Ebel und die Tafeln des Schicksals
deshalb nichts von ihrer Beute übrig ließen, warum waren dann einige der vermissten Opfer blutleer im Wald wieder aufgetaucht? Es erübrigte sich, Shak diese Frage zu stellen, denn er hatte ihr bereits bei ihrem letzten Gespräch klargemacht, dass er sich dazu nicht äußern würde. Vielleicht hielten die Sieben sich einen kleinen menschlichen Vorrat oben auf ihrer Burg und den bedauernswerten blutleeren Opfern im Wald war es gelungen zu fliehen? Ja, vielleicht – vielleicht aber auch nicht.
„Seit wann leben die Gargoyles schon auf der Burg?“
„Oh, sie leben nicht unbedingt dort. Es ist nur eine ihrer Behausungen. Sie wechseln ihren Wohnsitz häufig.“
„Klar. Damit es nicht so auffällt, wenn ringsumher Menschen verschwinden.“ Shak lächelte unermüdlich. Er schien gewisse Sympathien für diese Monster zu hegen, was natürlich nicht weiter verwunderlich war.
„Hast du noch was für mich?“
„Ihr Anführer heißt Thot. Ein ausgesprochen netter Mann.“
„Das soll wohl ein Witz sein?“
Shak überlegte. „Nein, im Vergleich zu seinen sechs Kumpanen, kann man sein Wesendurchaus besonnen nennen.“
„Wow. Das lässt hoffen.“
„Wieso?“, fragte Shak interessiert. „Was hast du vor?“
„Ich habe soeben beschlossen, diesen sieben netten Herren einen Besuch abzustatten und in diesem alten Gemäuer mal nach dem Rechten zusehen.“ „Das ist eine sehr gute Idee“, stimmte Shak ihr freudig zu. „Und du solltest jetzt gleich gehen, damit du sie auch antriffst.“
„Ja, sobaldich hier mit dir fertig bin.“
Darüber geriet Shak geradezu in Ekstase. Er versuchte jedoch, seine freudige Erregung so gut es ging vor Evianna zu verbergen.
„Gibt es noch etwas, das du mir über sie sagen kannst?“
„Ich fürchte, nein.“
Evianna nickte. Das hatte sie sich beinahe gedacht. Die Informationen waren zwar nicht sehr ergiebig gewesen, doch immerhin wusste sie jetzt, wo sie nach diesen sieben Geschöpfen des Bösen suchen musste und womit sie es mit ihnen zu tun bekam.
Leise murmelte Evianna den Bannspruch vor sich hin. Der Nebel der Zwischenwelt erschien und hüllte Shak ein. Mit einem hysterischen Lachen verschwand seine Gestalt in dem grünlichen Nebel. „Bis bald, Evianna Ebel“, hörte sie ihn wie aus weiter Entfernung rufen. Dann verschwand auch der letzte Rest des Nebels und Evianna war allein. Ein wenig erschöpft ließ sie sich nach hinten sinken und blieb eine Weile reglos auf dem kalten Betonboden liegen. Ein zaghaftes Klopfen an der Tür ließ sie zusammenfahren. „Evianna?“, fragte Paddys schüchterne Stimme. Evianna hob den Kopf. Elender Puk . Wahrscheinlich hatte er sich wieder vor Angst einen Fleck ins Hemd gemacht und Paddy angerufen. Anders konnte sie sich das Erscheinen ihres Nachbarn um diese Uhrzeit in ihrem Haus nicht erklären. Etwas zu schnell kam sie auf die Beine. Sie schüttelte den Kopf um das leichte Schwindelgefühl loszuwerden doch so leicht ließ es sich nicht vertreiben. Benommen torkelte Evianna in die Mitte des Drudenkreuzes. Sie bückte sich, um das Amulett, das Shak zurückgelassen hatte, aufzunehmen. Als ihre rechte Hand das Metall berührte, durchfuhr sie ein stechender Schmerz, so als hätte sie sich verbrannt. Evianna stöhnte und öffnete die Hand, um das Amulett loszuwerden, doch es war nicht mehr da. Stattdessen hatten sich die Konturen gut sichtbar in die Innenfläche ihres Handballens eingebrannt.
„Alles okay bei dir da drinnen?“, rief Paddy durch die Tür.
„Ja“, antwortete sie automatisch während sie den Boden absuchte und ihre schmerzende Hand schüttelte. Doch das Amulett blieb verschwunden. Evianna schnüffelte und riss das Fenster auf. Danach knipste sie das Licht an, räumte die Kerzen weg und rollte den Teppich aus. Aus ihrer Hosentasche fummelte sie eine zerknautschte Zigarettenschachtel und steckte sich einen der verbogenen Glimmstängel an. Hektisch zog sie daran und blies den Rauch in den Raum bevor sie die Tür öffnete.
„Alles in Ordnung“, lächelte sie Paddy an und blies ihm eine Rauchwolke ins Gesicht. Paddy blinzelte durch den beißenden Qualm und spähte über ihre Schulter in das Zimmer.„Engus sagt, du…“
„Was sagt dieser feige kleine Kerl schon wieder?“, unterbrach Evianna ihn unwirsch. „Naja, er macht sich Sorgen darüber, dass du mit Kräften spielst, die dein Geist nicht erfassen kann.“ Evianna schüttelte den Kopf und schob Paddys Kommentar beiseite. „Mir geht’s gut. Weißt du was? Warum wartest du nicht
Weitere Kostenlose Bücher