Evianna Ebel und die Tafeln des Schicksals
Foto eines Gargoyles im Mischwesen-Katalog der Behörde existierte, hatten sie trotzdem Rechte, so wie jedes menschenähnliche Lebewesen nach dem Polsprung auch. Und ihre Schuld in Bezug auf die verschwundenen Menschen war noch nicht erwiesen, wie Evianna sich zu ihrem Leidwesen eingestehen musste. Sie hatte keinerlei Beweise dafür, dass die Gargoyles etwas mit dem Verschwinden der Menschen zu tun hatten und sie hatte auch sonst nichts gegen sie in der Hand. Und dabei war sie sich so sicher gewesen, dass sie in der alten Festungsanlage etwas finden würde.
Es hatte sich gut angefühlt, dorthin zu fahren. Die diffuse Anspannung, die sie immer vor einem Einsatz befiel, war da gewesen und sie war sogar stärker gewesen als sonst.
Doch letztendlich hatte dieser blödsinnige Ausflug in die Burg nichts eingebracht, wenn man von dem Ärger, den sie jetzt am Hals hatte, einmal absah. Nein, die BVb zu informieren, war auch keine gute Idee, denn damit würde sie genau das tun, was Thot zu verhindern versucht hatte, indem er sie einsperren ließ: sie würde den Aufenthaltsort der Gargoyles verraten. Das allein war sicherlich noch nicht das Schlimmste, doch wenn herauskam, worin der Grund für deren Existenz bestand, würden sowohl Menschen als auch Vampire Jagd auf sie machen, auch wenn sie dabei vermutlich den Kürzeren zogen. Und noch mehr blutige Unruhen konnte die Bevölkerung wirklich nicht verkraften. Gabriel hatte recht: die Existenz der Gargoyles sollte nichts weiter bleiben als eine Legende. Das war für alle Beteiligten am besten.
Als Evianna nach einer Ewigkeit endlich das Gefühl hatte sauber zu sein, drehte sie das Wasser ab und stieg aus der Dusche. Ihre Haut schimmerte rot von der Hitze. Sie trocknete sich ab und klebte ein Tape über den Schnitt an ihrem rechten Handgelenk. Das stoppte die Blutung. Dann hüllte sie sich in einen Bademantel, wickelte ihr langes braunes Haar in ein Handtuch und setzte sich auf das Bett. Sie griff zum Telefon und wählte. Evianna hatte einen Entschluss gefasst und wenn sich dieser Entschluss auch nach ein paar Stunden Schlaf noch gut anfühlte, würde sie ihn in die Tat umsetzen. Die nötigen Vorkehrungen mussten allerdings schon jetzt getroffen werden.
Am anderen Ende der Leitung meldete sich Paddys verschlafene Stimme. Evianna erklärte ihm kurz was sie brauchte und war froh, dass er kaum Fragen stellte. Er versprach, alles noch vor ihrem Dienstbeginn fertig zu haben und am Ende des Gesprächs legte Evianna zufrieden auf. Jetzt konnte sie beruhigt schlafen gehen. Sie zog den Bademantel aus, das Handtuch, das sie sich um den Kopf geschlungen hatte, blieb wo es war. Dann streckte sie sich auf dem Bett aus und schloss die Augen.
Der Wecker klingelte viel zu früh, was er nach Eviannas Empfinden sowieso ständig tat. Sie schaltete ihn aus und starrte an die Zimmerdecke. Von draußen fielen die Strahlen der Spätnachmittagssonne herein. Ihr gesamter Körper war schweißnass und sie fühlte sich, als ob sie einen Marathon-Lauf hinter sich gebracht hätte. Das Dämonenmal in ihrer Hand brannte. Außerdem schlug ihr Herz ungewöhnlich schnell. Von erholsamem Schlaf konnte nicht die Rede sein.
Evianna stand auf und schleppte sich ins Bad, wo sie sich unter die Dusche stellte. Zuerst wusch sie sich den Schweiß von der Haut, dann drehte sie den Thermostat auf kalt, was sie unwiderruflich aufweckte. Nachdem sie sich abgetrocknet und angezogen hatte, schlug ihr Herz wieder im gewohnten Rhythmus und auch das Brennen in ihrer Hand hatte nachgelassen. Also dann. Es konnte losgehen. Evianna lief hinunter in die Küche, wo Engus schon erwartungsvoll am Tisch saß– nur das darauf nichts außer seinem leeren Frühstücksbrett lag.
„Hey, Engus. Machst du Diät?“, fragte Evianna, während sie ihre Messer verstaute. Sie fühlte sich nackt ohne ihre ZiG4, die sie in der Burg hatte zurücklassen müssen, aber das würde sich hoffentlich bald ändern.
„Ja, aber nur gezwungenermaßen“, quengelte der Puk. „Der Kühlschrank ist leer und du warst nicht einkaufen.“
Evianna hob die Augenbrauen. Wie konnte der Kühlschrank schon wieder leer sein? Das war so gut wie unmöglich. Evianna riss die Kühlschranktür auf, um sich selbst davon zu überzeugen. Und tatsächlich: außer einer angebrochenen Tube Senf und einer schrumpeligen Feige, die Engus nicht mochte, herrschte dort gähnende Leere. „Ich verstehe das nicht“, schimpfte Evianna und schlug die Kühlschranktür wieder zu. „Wie kann
Weitere Kostenlose Bücher