Evianna Ebel und die Tafeln des Schicksals
auf. Das Amulett lag unscheinbar in der Mitte des Kreises, doch sobald es ihre Haut berührte, brannte es sich in die Innenfläche ihrer rechten Hand und löste sich danach in Luft auf. Evianna stöhnte vor Schmerz. Sie öffnete das Fenster, räumte die Kerzen beiseite und rollte den Teppich über den in den Boden gemeißelten Kreis. Dabei dachte sie über Shaks Worte nach: ein Vampir war in der Lage, die Tafeln des Schicksals an sich zu bringen. Wieso wollte Shaytan dann, dass sie ihnen half? Angeblich wusste er doch, was zu tun ist. Wieso fragte er dann sie? Sollte sie Gabriel um Hilfe bitten? Nach Eviannas Einschätzung würde das bestimmt nicht funktionieren. Aber darüber würde sie sich Gedanken machen, wenn es soweit war, entschied sie. Denn es war ja nicht sicher, ob die Gargoyles ihren Teil der Abmachung überhaupt einhalten konnten.
Die Verbindung zum Jenseits hatte Evianna einige Kraft gekostet, und auch der Vorfall in Keirs Haus trug nicht gerade zu ihrem Seelenfrieden bei. Daher machte sie sich auf den Weg in ihr Schlafzimmer. Sie ließ sich auf’s Bett fallen und schaffte es gerade noch den Wecker zu stellen, bevor sie erschöpft einschlief.
Als sie am späten Nachmittag ausgeruht und frisch geduscht in den oberen Flur trat, hörte sie Stimmen von unten.
„Sie warwieder da drin“, hörte sie Engus quietschen. Danach redete Siris Stimme beruhigend auf ihn ein. Oh, nein. Wahrscheinlich hatte der nichtsnutzige Puk sich diesmal bei Siri ausgeheult.
Evianna verspürte nicht die geringste Lust nach unten zu gehen, und mit ihrer Freundin zu sprechen, denn die würde ihr die gleiche Gardinenpredigt halten, wie Paddy ein paar Tage zuvor. Warum konnten sie alle nicht einfach verschwinden und sie in Ruhe ihre Arbeit machen lassen? Evianna erwog die Möglichkeit, aus einem der oberen Fenster zu klettern und zu fliehen. Aber was machte das für einen Eindruck? Immerhin war Siri ihre Freundin. Bei genauerer Betrachtung war Siri sogar ihre einzige Freundin.
Evianna seufzte. Ihr würde nichts anderes übrig bleiben, als sich in das Unvermeidliche zu fügen. Also wappnete sie sich innerlich und machte sich auf den Weg nach unten.
„Evianna“, strahlend kam Siri auf sie zu und umarmte sie herzlich.„Wie geht’s dir?“ „Gut. Mir geht es gut.“ Über Siris Schulter hinweg sah Evianna den Puk böse an, der daraufhin vorsichtshalber hinter die Lehne des Sofas floh.
„Ich dachte mir, ich hole dich ab, und wir zwei gehen zusammen einkaufen“, erklärte Siri begeistert.
Das war definitiv schlimmer als alle Vorhaltungen über die Gefahren einer Dämonenbeschwörung.
„Siri, es tut mir leid, aber… “, setzte Evianna an, um Siris Vorhaben abzubiegen. „Ach, komm’ schon. Wir zwei waren schon viel zu lange nicht mehr zusammen in der Stadt. Das wird bestimmt lustig.“
Lustig? Das bezweifelte Evianna.
Siri sah auf die Uhr. „Bis zu deinem Dienstbeginn haben wir noch genügend Zeit. Wir könnten unterwegs etwas essen.“
Ein dezenter Summton kündigte ein eingehendes Gespräch an. Evianna zog ihren PPC hervor. Auf dem Display erschien das Bild von Julius.„Julius. Was gibt’s?“ „Evianna?“, fragte eine hohe Stimme unsicher.
Evianna legte die Stirn in Falten. „Ja.“ Er musste sie ebenfalls auf seinem Display sehen können.
„Sie alle waren unfruchtbar“, sagte Julius unvermittelt.
„Was? Wovon sprichst du?“
„Ich spreche von den Vampiropfern. Alle Opfer waren nicht nur männlich und blutleer sondern auch unfruchtbar.“ Julius schien von seiner Entdeckung begeistert. Evianna hingegen glaubte nicht, dass diese Erkenntnis sie irgendwie weiter brachte, denn neben großen Gedächtnislücken war Unfruchtbarkeit seit dem Polsprung unter den Menschen weit verbreitet, nicht nur unter den Männern sondern auch bei den Frauen.
„Danke, Julius. Sonst noch was?“
Julius schüttelte den Kopf. „Nein, leider.“
Evianna verabschiedete sich von ihm. Seine Entdeckung war vielleicht keine große Sache, aber immerhin bot sie ihr Anlass, den Einkaufsbummel mit Siri zu verschieben. „Tja, tut mir leid, aber die Arbeit ruft“, sagte Evianna und versuchte bedauernd zu klingen.
„Oh. Wie schade.“ Siris Enttäuschung darüber war echt.
Angesichts dessen meldete sich Eviannas Gewissen zu Wort und so versprach sie der Freundin einen ganzen Shopping-Nachmittag sobald der Fall, an dem sie arbeitete, gelöst war. Das versöhnte Siri augenblicklich und Evianna begleitete sie zu Tür.
„Also dann,streng dich an und
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