Evies Garten (German Edition)
Erde übrig. Evie setzte sich auf und sah sich um.
»Mom?«, rief sie mit krächzender Stimme. Die Nacht war hereingebrochen, und Evie spähte in die Dunkelheit, obwohl sie längst wusste, dass ihre Mutter nicht mehr da war. Sie spürte die vertraute innere Leere – den Verlust, der so wehtat, dass er einen pochenden Schmerz in der Brust verursachte.
»Mom, bitte«, flüsterte Evie. »Das war nicht genug! Du musst zurückkommen. Lass es mich noch mal versuchen …«
Sie winkelte die Beine an, schloss die Augen und konzentrierte sich. Sie zeichnete in Gedanken jede Linie des Bildes nach, das sie gerade eben noch gesehen hatte, immer und immer wieder, bis sie fast überzeugt war, dass ihre Mutter wieder da war. Doch als sie die Augen aufmachte, war da nichts als der kalte Wind, der ihr ins Gesicht blies.
Vielleicht hätte ich bleiben sollen, wie Alex , dachte Evie. Hatte sie die falsche Entscheidung getroffen?
Sie schniefte und wischte sich mit dem Ärmel ihrer Jacke übers Gesicht. Dann stand sie langsam auf. Ihr Körper war steif, jeder Knochen tat ihr weh und ihre Zähne klapperten vor Kälte. Sie blickte sich um.
Alex . Wo er wohl gerade steckte? Sie wünschte, er wäre bei ihr, aber es machte jetzt auch keinen Unterschied mehr. Er war da, wo er hingehörte, und Evie redete sich ein, dass das die Realität war, aber es hinterließ dennoch einen bitteren Geschmack im Mund.
Warum müssen Menschen überhaupt weggehen?
Sie war so in Gedanken versunken, dass sie das Licht in der Ferne kaum wahrnahm. Irgendjemand rief ihren Namen. Es war eine Männerstimme, aber es war nicht Vaters Stimme. Dann ertönte eine Frauenstimme in der Nähe der ersten Stimme. Evie duckte sich hinter einen Apfelbaum und blieb stocksteif stehen.
Sie hörte Schritte.
»Wenn du mich fragst: Die sind weg«, sagte der Mann und kam näher. »Der Fluch hat sie geholt. Ich weiß noch nicht mal, warum ich mich freiwillig gemeldet habe, mitten in der Nacht diese gottverdammte Plantage zu betreten. Es war Maggie, die mich dazu überredet hat.«
»Ach, Burt, wie gefühllos du doch bist! Hast du denn das Gesicht des armen Mannes nicht gesehen? Wie würdest du dich fühlen, wenn es deine kleine Tochter wäre? Ganz zu schweigen von Juanita. Soweit ich weiß, hat der Doktor ihr ein Beruhigungsmittel gegeben.«
»Na, hoffentlich. Es gibt nichts Schlimmeres, als beide Söhne zu verlieren. Wenn das hier alles vorbei ist, sollten wir umziehen. Ich sag dir, Lottie …«
»Ach, sei still und ruf lieber noch mal nach den beiden.«
Es gab eine Pause. Dann fingen die Rufe wieder an, und diesmal hörte Evie zu.
»Adam!«
»Eva!«
Wieder entstand eine Pause und wieder hörte sie Schritte, knackende Zweige und Knirschen auf dem harten Boden. Jemand gluckste leise.
»Es ist so komisch, diese Namen zusammen zu rufen. Ich schwöre, das hier ist der seltsamste Ort, den es jemals gegeben hat. Nur in Beaumont können zwei vermisste Kinder Adam und Eva heißen. Klingt fast wie im Märchen.«
Die Frau schnaubte. »Adam und Eva waren kein Märchen. Die stammen direkt aus der Bibel, was du wüsstest, wenn du mal in die Kirche gehen würdest.«
»Ich sag doch bloß, dass es komisch klingt. Zwei Kinder, die sich auf einer Apfelplantage verlaufen haben, und das eine heißt Adam, das andere …«
Evie zuckte vor Schreck zusammen. Sein Name war Alex, und sie hatten ihn schon vor Tagen beerdigt. Warum suchten sie ihn jetzt?
»Sei mal still! Hast du das gehört?«
»Oh Gott, hoffentlich war es kein Gespenst …«
»Psst, ich schwöre, ich hab was gehört.«
Evie hielt die Luft an. Als sie hinter ihrem Baum das Gewicht verlagerte, zerbrach ein Zweig knackend unter ihrem Fuß.
»Da drüben!«
»Adam? Bist du das? Eva?«
»Wenn jetzt jemand aus den Büschen springt, dann renne ich wie der Teufel.«
»Niemand wird aus den Büschen springen. So viel ist sicher …«
Evie trat hinter dem Baum hervor. Das grelle Licht einer Taschenlampe schien ihr direkt ins Gesicht und blendete sie. Sie blinzelte. Soweit sie sehen konnte, starrten zwei Erwachsene sie an – ein kräftiger Mann und eine große, schlanke Frau.
»Lebst du noch?«, fragte der Mann, und die Frau versetzte ihm mit dem Ellbogen einen Rippenstoß.
»Natürlich lebt sie«, sagte die Frau und ging auf Eva zu. »Du bist doch Eva, nicht wahr?«
Evie nickte. Der Mann und die Frau tauschten Blicke aus.
»Wie spät ist es?«, fragte Evie.
Der Mann räusperte sich betont. »Es ist schon fast
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