Evil - Das Böse
oder sie hing in seinem Mundwinkel. Er machte einen krummen Rücken und kam sich vor wie Marion Brando.
Die Arbeit begann um halb sieben Uhr morgens. Er fuhr pfeifend mit dem Rad durchs leere Vasastan bis zur Odengata und dann weiter über den Valhallaväg. Es regnete nur an wenigen Morgen.
Sein Vater war verreist.
Von allen glücklichen Zufällen auf der Welt, von allem Guten, was ihm passieren konnte - sein Vater war verreist. Er hatte in einem Ferienort eine Vertretung als Kellermeister angetreten und den kleinen Bruder mitgenommen.
Abends ging er ins Kino oder er lauschte der Musik seiner Mutter. Sie spielte noch immer vor allem Chopin.
Ab und zu ging er in die Schwimmhalle und traf Floh.
Floh hatte sich über die vielen technischen Macken kaputtgelacht, die er sich bei seinem einsamen Training in Stjärnsbergs kurzem Becken zugelegt hatte. Aber die Fehler saßen nicht tief, es war nicht schwer, sie nach und nach zu korrigieren. Und da er mehr Kraft und Ausdauer hatte, machte er immer noch Fortschritte. Einige seiner alten Trainingskumpels hatten ihn überholt, aber ihr Vorsprung war nicht sehr groß.
»Wie gesagt, für Rom ist es zu spät«, sagte Floh, »aber das spielt keine große Rolle. Nächstes Jahr in Rom hättest du sowieso nur zum Lernen mitgemacht, ein Sprinter ist mit sechzehn noch weit von seiner Höchstleistung entfernt. Aber danach, verdammt, Erik, danach musst du einen Schlag zulegen, in fünf Jahren in Tokio kommt’s drauf an.«
In fünf Jahren in Tokio. Das wäre 1964, das kam ihm so weit entfernt vor wie Jahreszahlen in Zukunftsromanen, es hätte auch 1984 sein können. Bei den Olympischen Spielen in Tokio würde er zwanzig sein, erwachsen. Er hätte sein Abitur und wäre schon auf der Universität. Fünf Jahre in der Zukunft, das war eine Ewigkeit.
»Kannst du nicht ab und zu in die Stadt kommen, damit wir an deiner Technik arbeiten können?«, fragte Floh. »Ich meine, noch ein ganzes Jahr so weiter und du hast wieder eine Menge aufzuholen.«
»Geht nicht«, sagte Erik. »Ich hab jeden Samstag und Sonntag Strafarbeit oder Arrest.«
Floh starrte ihn an und schüttelte den Kopf. »Klingt wie ein Scheißirrenhaus«, sagte er.
Der Sommer war einfach perfekt.
Die ersten beiden Monate vergingen im Flug, ein Marlon-Brando-Tag wie der andere. Und einen Tag vor der Rückkehr seines Vaters aus Ronnebybrunn fuhr er nach England. Höhere Mächte schienen auf seiner Seite.
In England trank man Tee mit Milch und hellbraunes Bier, das nicht so viel Kohlensäure hatte wie das schwedische.
Das Herbstschuljahr begann mit zwei raschen Triumphen. Zuerst kam das schulinterne Leichtathletikfest. Erik setzte auf vier Disziplinen, vierhundert Meter und Weitsprung, dazu die beiden Sprintstrecken. Er gewann in allen vieren. Sein hohes Tempo im Anlauf brachte ihn über sechs Meter weit, das reichte für den Sieg im Weitsprung. Das Krafttraining des vergangenen Jahres und vielleicht auch die Arbeit im Hafen hatten ihm so viel Muskelzuwachs gebracht, dass er sein Tempo fast einen ganzen Vierhundertmeterlauf hindurch beibehalten konnte.
Als dann die Schulmannschaft im Fußball gegen Sigtuna antrat, schoss er zwei Tore, das erste und das letzte in einem Spiel, das Stjärnsberg mit 3:2 gewann. Jubel auf den Tribünen und eine noch stärkere Waffe gegen den Rat.
So sah es anfangs zumindest aus. Der Wendepunkt kam im Oktober. Da wurde er vom Fach einberufen.
Höken war im Fach der Vorsitzende und klopfte mit dem Bleistift auf den Tisch, genau wie der Ratsvorsitzende das machte, um ein neues Thema einzuleiten.
»Also«, sagte Höken, »wir haben hier ein ernstes Problem, bei dem es um deine Unverschämtheiten geht, darüber wollten wir mit dir reden.«
Erik erklärte den anderen, wenn sie über etwas mit ihm reden wollten, müsste ein anderer als ausgerechnet Höken für sie das Wort führen. Er spreche nicht mit Höken. Man spreche nicht mit einem, der »sorry, old chap« sage, während er kochend heißes Wasser über jemandem ausgieße, der am Boden festgebunden sei.
Also?
Das Fach beschloss, für diesen Punkt auf der Tagesordnung ausnahmsweise einen stellvertretenden Vorsitzenden zu ernennen. An sich sei es falsch, auf solche Erpressungsversuche einzugehen, aber das Fach wolle seinen guten Willen zeigen und ein Gespräch in die Wege leiten.
Herrgott, jetzt redeten die auch schon wie der Rat!
Also?
Es gehe also um Eriks Unverschämtheiten. Das ganze vergangene Schuljahr sei geprägt gewesen von dem
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