Evil - Das Böse
sinken, seine Hände zitterten. Auch Pierre zog sich jetzt an.
Erik bückte sich und hob die Kippe vom Teppich auf. Er hielt sie zwischen Daumen und Zeigefinger und trat zwei Schritte auf Blinkfeuer zu, dann streckte er den Arm aus, ließ die Kippe in den Aschenbecher fallen, drehte sich um und ging auf die Tür zu.
Als er vor Pierre die Holztreppe hinunterstieg, blieb Erik stehen und umklammerte das Treppengeländer. Der Schmerz hatte sich plötzlich wie ein Speer in seinen Körper gebohrt. Er stöhnte auf und sank für einen kurzen Moment auf ein Knie, dann riss er sich zusammen und ging weiter die Treppe hinunter.
Die Wunde war so groß wie ein Kronenstück und von Tabak und Asche verschmutzt. Erik ging mit einer Nagelbürste in den Duschraum, holte tief Atem, kniff die Augen zu und befreite dann rasch die Wunde von Asche, Hautresten und Wundflüssigkeit. Es blutete frisch und heftig. Das Blut vermischte sich mit dem Duschwasser und wirbelte in den Abfluss mit den etwas zu kleinen Löchern in der Zinkplatte.
Pierre hatte Jod und Wundsalbe in seiner Kulturtasche. Nachts pochte die Wunde. Erik zählte, achtunddreißig Schläge, die absolute Ruhe.
Schon Mitte April waren die Laufbahn und der kleine Fußballplatz so trocken, dass der Sportunterricht wieder unter freiem Himmel stattfinden konnte. Eriks wütendes Krafttraining im Herbst und Winter zeigte Wirkung. Schon beim ersten Mal, als Tosse Berg ihn über hundert Meter stoppte, schaffte er es zwei Zehntelsekunden unter seinem persönlichen Rekord, dabei hatte er sich vor dem Lauf nicht einmal ausreichend aufgewärmt. Und seine Spikes waren ihm inzwischen auch zu eng.
»Das verspricht Gutes für den Wettkampf mit Lundshov«, sagte Tosse Berg. »Du kannst dich auf die Schlussstrecke in der Staffel einrichten.«
Die Internate im Land traten nämlich in einem großen Tour-nament gegeneinander an, das Ende jedes Frühlingshalbjahres begann und im Herbst endete. Der Reihe nach wurden die Schulen mit dem Bus zueinander geschafft und als Erstes wurde Lundshov in Stjärnsberg erwartet.
Diese Wettkämpfe waren mit großem Prestige verbunden, vor allem für Stjärnsberg. Das lag nicht nur daran, dass Stjärnsberg im Laufe der Jahre die meisten Siege errungen hatte, sondern auch an der fixen Idee, dass die Stjärnsberger immer und grundsätzlich härter, schneller und besser seien als alle anderen. Wenn Stjärnsberg gewann, war bewiesen, dass das auch stimmte. Wenn Stjärnsberg nicht gewann, bewies das rein gar nichts. Wenn der und der in der zweiten Staffel nicht gepatzt hätte, wenn A den dritten Versuch im Weitsprung nicht übertreten hätte, wenn B beim dritten Versuch über 1,78 nicht mit der Hose die Latte erwischt hätte, wenn nicht dies oder jenes passiert oder nicht passiert wäre, hätte man natürlich gewonnen. Obwohl Stjärnsberg zweifellos die Privatschule mit den besten Trainingsmöglichkeiten war, verliefen die Wettkämpfe meistens überraschend ähnlich. Da die Punkte genauso gezählt wurden wie bei Länderkämpfen, es also doppelte Punkte für die abschließenden Staffeln gab, entschied oft die letzte Staffel über vier mal hundert Meter.
So würde es auch diesmal sein. Am späten Nachmittag, nachdem alle Sportarten bis auf die Sprintstaffel abgehakt waren, lag Stjärnsberg mit nur drei Punkten vor Lundshov in Führung. Die Sprintstaffel würde alles entscheiden und Erik sollte die Schlussstrecke laufen.
Die Zuschauertribünen waren voll besetzt, als die Läufer sich aufwärmten. Es war leicht sich auszurechnen, dass die beiden Staffeln nahe beieinander liegen würden. Die hundert Meter am Vormittag hatte Erik gewonnen, aber die Läufer aus Lundshov waren auf den Plätzen 2, 3 und 6 gelandet. In der Staffel würden die vier besten Läufer beider Schulen antreten, das Ergebnis war deshalb absolut offen.
Erik hatte sich gut vorbereitet. Er trug seine neuen roten Puma-Spikes aus Känguruleder, die eigentlich viel zu teuer gewesen waren (Anwalt Ekengren würde ausrasten, wenn die Rechnung des Schuhladens bei ihm eintraf). Er war ausreichend aufgewärmt, es durfte nichts schief gehen.
Der Start rückte näher und die ersten Anfeuerungsrufe kamen von der Zuschauertribüne neben der Zielgeraden, der Strecke, die Erik laufen sollte. Dort, mitten in seiner Konzentrationsphase, hörte er Stjärnsbergs Claqueure seinen Namen rufen.
ERIK! ERIK! ERIK! ERIK! WIR WOLLEN UNSEREN ERIK!
Oh verdammt. Er musste gewinnen. Musste.
Der Startschuss fiel und bis zum
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