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Evil - Das Böse

Evil - Das Böse

Titel: Evil - Das Böse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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in eine andere Stadt umzuziehen, da Fünfzehnjährige nicht in andere Städte umziehen durften. Es wäre ganz bestimmt unmöglich, einfach zur See zu gehen. Überhaupt war alles unmöglich, jetzt, wo ihm alle Wege zu einer Ausbildung versperrt waren.
    Also konnte er auch gleich nach Hause gehen und die Prügel hinter sich bringen, er konnte sowieso nicht klar denken, solange die Worte des Rektors in seinem Kopf widerhallten, wonach er ein unverbesserlicher Verbrecher war, weil er zu wenig Prügel bezogen hatte - ach, diese einfältige Rektorenlogik, dieser verdammte kindische Glaube daran, dass die albernen Tests die Wahrheit sagten, als ob er nicht mehr über Prügel wüsste, als der Rektor in seinem ganzen Leben gelernt hatte, als ob nicht, als ob nicht.
    Das alles brachte nichts, erst nach Hause und die Prügel hinter sich bringen, dann klar denken. Und was würden das für phänomenale Prügel werden, jetzt, wo es einen so großartigen Grund gab - er lachte auf, als er sich vorstellte, wie sein Vater das alles sehen würde.
    Er hielt mitten in einem Schritt inne.
    Gab es denn überhaupt noch einen Grund, sich schlagen zu lassen? Wenn sie ihm doch die ganze Zukunft genommen hatten, wenn er jetzt arbeiten und sein eigenes Geld verdienen und vielleicht von zu Hause ausziehen müsste, selbst wenn er nicht von zu Hause ausziehen müsste - auf jeden Fall war er kein Schulknabe mehr. Nie wieder.
    Er ging weiter.
    Aber wie sollte sein Vater das begreifen, konnte er das begreifen, wenn er sich nicht endlich Widerstand gegenübersah, nicht endlich selber Prügel bezog? Vermutlich nicht. Der Vater sah ihn als einen Hund, der ihn nicht beißen würde, der das ganz einfach nicht konnte. Und es war schlicht nicht zu sagen, wie der Vater reagieren würde, wenn er zum ersten Mal gebissen wurde. Zum ersten und letzten Mal, es würde nur dieses einzige Mal nötig sein.
    Aber das Ganze musste auf einer Art Schockerlebnis aufbauen. Der Vater hatte, verglichen mit Erik selbst, eine ungeheure Reichweite und sein Selbstvertrauen war ungebrochen. Man musste dieses Selbstvertrauen also rasch zerschlagen, ihn zu der Erkenntnis zwingen, dass der vermeintliche Hund sich als Wolf entpuppte. Es gab zwei mögliche Herangehensweisen an diese Taktik. Vor allem musste er seinen Hass kontrollieren, musste kühl bleiben und den Vorteil nutzen, den der erste Schlag immer gibt. Wie würde der Vater auf sein eigenes Blut reagieren, würde er verstummen oder würde er in verzweifelte Wut geraten? Im Schlafzimmer gab es nur eine gefährliche Waffe, das war der Schürhaken am Kachelofen, der stellte ein Risiko dar. Er könnte den Schürhaken auch selbst benutzen, oder nein, das wäre nicht gut, es könnte den Vater auf die Idee bringen, sich bei erster Gelegenheit zu rächen, wenn dem Hund der Schürhaken fehlte. Er könnte zu Beginn des Rituals rasch den Schürhaken vor die Tür stellen und die Tür dann abschließen, aber das hätte den Nachteil, dass der Vater sich in Gedanken auf das Kommende vorbereiten konnte, das würde der Sache die Schockwirkung nehmen und konnte zu einer längeren Schlägerei führen, von der man nicht wusste, wie sie ausgehen würde. Wenn er dagegen …
    Als er eine halbe Stunde später nach Hause kam, hatte er zwei Runden durch den Krankenhauspark gedreht, um an den Details zu feilen. Er war sicher, dass er es schaffen würde, denn er musste sicher sein, dass er es schaffen würde. Seine Hand zitterte, als er den Schlüssel ins Schloss schob, aber er redete sich ein, dass er vor Spannung kochte, nicht vor Angst. Wer Angst hat, kann seinen Vater niemals so zusammenschlagen, wie er das jetzt vorhatte.
    Aber der Vater war nicht zu Hause.
    Das hörte er schon am Klang. Sie spielte einen Walzer von Chopin, und in ihrem Spiel lag eine Art Zögern, wenn der Vater nicht zu Hause war; es war eine zwischen Melancholie und Trauer und einer Art Freude schwankende Unsicherheit, ein Gefühl, das in der Sekunde, in der der Vater den Raum betrat, wie weggeblasen sein konnte.
    Erik ließ in der Diele lautlos seine Schultasche auf den Boden gleiten und schlich durch den langen Flur zum Salon, wo die weißen Tüllgardinen vorgezogen waren und die Mutter am schwarzen Flügel saß. Er betrachtete sie in dem gedämpften Gegenlicht. Sie hatte die Haare im Nacken zu einem Knoten hochgesteckt und trug ein hellblaues Kleid, das ihm das Gefühl gab, sie wolle ausgehen, auch wenn sie nur noch selten das Haus verließ. Er stand hinter ihr und lauschte;

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