Evil
mir, dass es ihm wohl genauso ging. Doch Ruth hatte uns gesehen.
»Ihr bleibt hier, Jungs. Mädchen weinen immer. Da kann man nichts machen. Aber das ist zu ihrem eigenen Besten. Dass ihr dabei seid, gehört dazu, und deswegen will ich, dass ihr hier bleibt.«
Der Gürtel war nicht aus Leder, sondern aus dünnem Stoff. Vielleicht tat er nicht so weh.
Sie nahm ihn doppelt und hob ihn über den Kopf. Pfeifend sauste er nach unten.
Klatsch.
Susan ächzte und weinte jetzt laut und hemmungslos.
Ihr Hintern war so blass wie Ruths Brüste und mit einem hauchzarten Flaum bedeckt. Und jetzt zitterte auch er. Oben auf der linken Backe gleich neben dem Grübchen sah ich eine rote Schwellung.
Ich schaute Ruth an, die den Gürtel wieder hochriss. Ihre Lippen waren fest zusammengepresst. Ansonsten war sie konzentriert und ausdruckslos.
Wieder zischte der Gürtel herunter, und Susan heulte auf.
Ein drittes und viertes Mal in rascher Folge.
Ihr Hintern war jetzt voller roter Flecken.
Ein fünftes Mal.
Susan schien fast zu würgen an Rotz und Tränen, ihr Atem ging stoßweise.
Ruth holte weiter aus. Wir mussten zurücktreten.
Ich zählte. Sechs. Sieben. Acht, neun, zehn.
Susans Beine zuckten. Mit weißen Knöcheln klammerte sie sich an die Bettdecke.
Ich hatte noch nie jemanden so weinen hören.
Lauf weg, dachte ich. Verdammt, da würde ich doch weglaufen.
Aber sie konnte natürlich nicht weglaufen. Sie hätte genauso gut angekettet sein können.
Und das erinnerte mich wieder an das Spiel.
Was Ruth da machte, war nichts anderes als das Spiel. Gottverflucht. Obwohl ich jedes Mal zusammenfuhr, wenn der Gürtel heruntersauste, konnte ich es einfach nicht fassen. Eine unglaubliche Vorstellung. Eine Erwachsene. Eine Erwachsene spielte das Spiel. Es war nicht genau das Gleiche, aber fast.
Und auf einmal kam es mir nicht mehr so verboten vor. Die Schuldgefühle verblassten irgendwie. Doch das Aufregende daran blieb. Ich spürte, wie sich meine Fingernägel in die Handflächen bohrten.
Ich zählte weiter mit. Elf. Zwölf. Dreizehn.
Kleine Schweißperlen standen auf Ruths Oberlippe und Stirn. Wie mechanisch kamen die Hiebe. Vierzehn. Fünfzehn. Ihr Arm ging nach oben, und ich sah, wie sich unter ihrem formlosen Kleid der Bauch anspannte.
»Wow!«
Woofer schlüpfte zwischen mich und Donny.
Sechzehn.
Er starrte auf Susans rotes, schmerzverzerrtes Gesicht. »Wow.«
Und ich wusste, dass er dachte, was ich dachte – was wir alle dachten.
Strafen waren etwas Privates. Zumindest bei mir zu Hause. Und auch bei allen anderen Familien, soweit ich wusste.
Das war keine Strafe. Das war das Spiel.
Siebzehn. Achtzehn.
Susan stürzte auf den Boden.
Ruth beugte sich über sie.
Sie schluchzte und zuckte jetzt am ganzen Leib, den Kopf zwischen den Armen vergraben, die Knie so weit nach oben zur Brust gezogen, wie es mit den Schienen ging.
Ruth atmete schwer. Sie zog Susan den Schlüpfer hoch. Dann hob sie sie auf, legte sie seitlich aufs Bett und strich ihr das Kleid über die Beine nach unten.
»Also gut«, sagte sie leise. »Das reicht. Jetzt bleib erst mal liegen. Aber du hast noch zwei gut.«
Einen Moment lang standen wir einfach nur da und hörten dem leisen Schluchzen zu.
Dann hörte ich nebenan ein Auto.
»Scheiße, meine Mutter!«
Ich raste durch das Wohnzimmer und zur Seitentür hinaus, um durch die Hecken zu spähen. Meine Mutter war schon bis zur Garage vorgefahren. Sie hatte die Hecktür des Kombis aufgemacht und war dabei, Tüten mit der Aufschrift A&P herauszuheben.
Ich huschte über die Auffahrt zu unserer Eingangstür und rannte die Treppe hinauf zu meinem Zimmer. Dort schlug ich eine Zeitschrift auf.
Ich hörte, wie sich unten die Hintertür öffnete.
»David, komm und hilf mir tragen!«
Die Tür fiel krachend zu.
Ich ging runter zum Auto. Meine Mutter machte ein finsteres Gesicht. Sie reichte mir eine Tüte nach der anderen.
»Der Laden war so was von voll«, sagte sie. »Und was hast du inzwischen gemacht?«
»Nichts. Gelesen.«
Beim Reingehen sah ich Meg unter den Bäumen vor dem Garten der Zorns.
Sie starrte hinüber zum Chandlerhaus und kaute auf einem Grashalm. Sie wirkte ganz versunken, als würde sie über eine wichtige Entscheidung nachdenken.
Anscheinend bemerkte sie mich nicht.
Ich fragte mich, was sie wusste.
Dann trug ich die Tüten hinein.
Später, als ich den Gartenschlauch aus der Garage holen wollte, sah ich sie, nur Meg und Susan. Sie saßen in dem hohen, ungepflegten
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