Evil
hab's dir gesagt, Ruth. Nein.«
Sogar Denise verstummte.
Wir waren verblüfft.
Kinder waren machtlos. Das war ganz normal. Kinder mussten Demütigungen entweder ertragen oder davonlaufen. Wenn man sich wehrte, dann nur indirekt. Man lief auf sein Zimmer und knallte die Tür zu. Man schrie und plärrte. Man brütete beim Abendessen vor sich hin und sagte kein Wort. Man benahm sich seltsam oder ließ absichtlich aus Versehen etwas zu Bruch gehen. Man schmollte und schwieg. Man schrieb schlechte Noten in der Schule. Und das war's auch schon. Alle Waffen im Arsenal. Doch was man auf keinen Fall machte, war, dass man sich vor einen Erwachsenen hinstellte und ihm praktisch ins Gesicht sagte: Du kannst mich mal. Man stand nicht einfach da und sagte nein. Dafür waren wir noch zu jung. Was hier passierte, war wirklich unglaublich.
Mit einem Lächeln drückte Ruth ihre Zigarette in dem überfüllten Aschenbecher aus.
»Dann muss ich wohl Susan holen. Sie ist doch bestimmt in ihrem Zimmer.«
letzt starrte sie Meg an.
Einen Moment standen sich die beiden gegenüber wie zwei Revolverhelden aus einem Western.
Dann verlor Meg die Fassung.
»Lass meine Schwester aus dem Spiel. Lass sie in Ruhe!«
Sie hatte die Hände zu Fäusten geballt, die Knöchel waren weiß. Und da war mir klar, dass sie von Susans Bestrafung neulich wusste.
Ich fragte mich, ob es schon öfter Prügel gesetzt hatte.
Doch irgendwie waren wir auch erleichtert. Das war schon eher, was wir kannten. Was wir gewohnt waren.
Ruth zuckte nur die Achseln. »Was regst du dich denn so auf, Meggy? Ich will sie doch nur fragen, was sie darüber weiß, dass du zwischen den Mahlzeiten den Kühlschrank plünderst. Wenn du nicht machst, was ich sage, dann muss ich mich eben an sie halten.«
»Sie war nicht mal bei uns!«
»Ach, sie hat dich bestimmt gehört, Schätzchen. Bestimmt haben dich sogar die Nachbarn gehört. Außerdem wissen Schwestern so was einfach. Das ist einfach der Instinkt.«
Sie wandte sich zum Kinderzimmer. »Susan?«
Meg packte sie am Arm. Auf einmal war sie ein ganz anderes Mädchen, verängstigt, hilflos, verzweifelt.
»Hör auf gottverdammt!«
Es war klar, dass das ein Fehler war.
Ruth wirbelte herum und knallte ihr eine.
»Du fasst mich an? Du fasst mich an, verdammt? Willst du frech werden?«
Sie schlug ihr wieder ins Gesicht, als Meg zurückwich, und noch einmal, als sie gegen den Kühlschrank taumelte. Sie verlor das Gleichgewicht und stürzte auf die Knie. Ruth beugte sich über sie und zog mit hartem Griff an ihrem Kiefer.
»Jetzt mach dein gottverdammtes Maul auf, hast du gehört? Sonst schlage ich dich und deine kostbare kleine Schwester grün und blau. Hast du verstanden? Willie! Donny!«
Willie stand auf und ging zu ihr. Donny sah verwirrt aus.
»Haltet sie.«
Ich war wie erstarrt. Alles ging so schnell. Denise saß neben mir und glotzte.
»Ich hab gesagt, haltet sie.«
Willie packte sie am rechten Arm. Wahrscheinlich war Ruths Griff sehr schmerzhaft, denn sie wehrte sich nicht. Donny stellte seine Gläser und Dosen auf den Tisch und nahm sie am linken Arm. Zwei Dosen rollten vom Tisch und krachten laut auf den Boden.
»Jetzt mach ihn auf, du Mistvieh.«
Und dann wehrte sich Meg. Sie versuchte, auf die Füße zu kommen, drehte und wand sich, aber sie hielten sie fest. Willie machte es Spaß, das war deutlich zu erkennen. Donny dagegen sah verbissen aus. Ruth bearbeitete sie jetzt mit beiden Händen, um ihre Kiefer auseinander zu zerren.
Meg biss sie.
Ruth schrie auf und wankte zurück. Meg schraubte sich hoch. Willie drehte ihr den Arm auf den Rücken und riss ihn hoch. Sie krümmte sich schreiend und versuchte in panischer Angst, den linken Arm loszureißen. Und fast hätte sie ihn auch losbekommen, so unsicher war Donnys Griff.
Dann trat Ruth wieder vor.
Erst stand sie nur da und fixierte sie. Wahrscheinlich überlegte sie, was sie machen sollte. Dann ballte sie die Faust und schlug sie ihr in den Magen, genau wie ein Mann einen anderen schlagen würde, und fast genauso hart. Es klang, als hätte jemand auf einen Basketball gedroschen.
Meg fiel nach vorn und schnappte würgend nach Luft.
Donny ließ sie los.
»Mein Gott!«, flüsterte Denise neben mir.
Ruth trat zurück.
»Willst du kämpfen? Okay, dann kämpfe.«
Meg schüttelte den Kopf.
»Du willst nicht kämpfen? Nein?«
Sie schüttelte den Kopf.
Willie sah seine Mutter an.
»Schade«, meinte er leise.
Er hatte sie immer noch am Arm gepackt. Und
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