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Evolution, Zivilisation und Verschwendung

Evolution, Zivilisation und Verschwendung

Titel: Evolution, Zivilisation und Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Mersch
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konnte, sind Dominanzhierarchien ein probates Mittel zur Vermeidung von Konflikten und den daraus resultierenden Reibungsverlusten. Allerdings können entsprechende Hierarchien nicht in allen Fällen aufgebaut werden, und vielfach sind sie auch nicht sinnvoll, zum Beispiel dann, wenn die Kommunikation eben gerade auf der Gleichheit aller Beteiligten beruhen soll. In solchen Fällen ist dann die Gefallen-wollen-Kommunikation (gegebenenfalls in Verbindung mit einem Prestigeerwerb) eindeutig die bessere Wahl, zumal sie ebenfalls konfliktvermeidend angelegt ist.
    Eine solche, auf der Gleichheit der Beteiligten beruhende Kommunikation bedarf jedoch bei sich gegenseitig widerstrebenden Interessen in der Regel der Funktion eines Schiedsrichters. Bei der sexuellen Selektion hat dasweibliche Geschlecht diese Rolle inne, bei Personal- oder Investitionsentscheidungen in Unternehmen das Management (beziehungsweise die nächst höhere Hierarchieebene) und bei Kaufentscheidungen der Käufer, beziehungsweise allgemeiner: der Markt. Fehlt ein solcher Schiedsrichter, bilden sich entweder doch wieder Dominanz- beziehungsweise Prestigehierarchien aus, oder es kommt zu vermehrten Konflikten.
    Damit soziale Systeme wie Unternehmen auf gleicher Ebene friedlich um Kunden beziehungsweise Ressourcen miteinander konkurrieren können, bedarf es der Märkte, das heißt, des Tausches, und damit insbesondere der Gleichsetzung des Nichtgleichen (Hörisch 2005: 162), idealerweise unter Zuhilfenahme eines Äquivalenzmediums (zum Beispiel Geld). Die Kritische Theorie (Frankfurter Schule) der Soziologie hat den hierdurch verursachten gesellschaftlichen „Äquivalenz- und Identitätsbann“ häufig thematisiert (Hörisch 2005: 158ff.). Allerdings ist diese Art der Gleichsetzung von Ungleichem ja bereits in der sexuellen Selektion – der primären Form der Gefallen-wollen-Kommunikation – begründet, da nämlich die Weibchen damit begannen, unter ungleichen Männchen bezüglich deren Zugang zur Fortpflanzung zu selektieren und sie somit zu vergleichen 133 . Auch wurde die Gleichsetzung von Ungleichem im Rahmen der Individualisierung und des mit ihr verbundenen Wandels von Ähnlichkeiten zu Differenzen erforderlich (siehe dazu die Ausführungen im Abschnitt
Emile Durkheim
auf Seite → ), denn wenn die Menschen nun alle verschieden sind und allesamt etwas anderes tun, dann muss dieses Andere auf irgendeine Weise wieder abgestimmt vergleichbar gemacht werden können, sonst dürfte es sehr schnell zu Dominanzwettkämpfen und sonstigen Streitereien kommen. Die Gleichsetzung des Nichtgleichen dient also ganz wesentlich auch der Befriedung einer Gesellschaft, und zwar auf eine viel effizientere Weise, als Dominanzhierarchien dazu in der Lage wären.
    Zwischen den einzelnen Ländern dieser Erde existieren zurzeit nur rudimentäre Hierarchieebenen. In Einschränkungen könnte die ökonomische Abhängigkeit zwischen Industrienationen, Schwellenländern und Dritte Welt als eine solche aufgefasst werden (
Dependenztheorie
). Bei Interessenskonflikten zwischen Nationalstaaten fehlt es folglich sowohl an etablierten Dominanzhierarchien, als auch an der Funktion eines Schiedsrichters 134 , weswegen es nicht selten noch immer zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommt.
    Menschliche Gesellschaftssysteme unterscheiden sich sehr stark in Bezug auf ihre Herrschaftsstrukturen, Dominanzhierarchien und ihrem jeweiligen Anteil an dominanter beziehungsweise Gefallen-wollen-Kommunikation. Beispielsweise könnte ein Teil der Bürger einer fiktiven Gesellschaft vor dem Gesetz frei und gleich sein, während sich ein anderer als deren Sklaven zu verdingen hätte. In der freien Oberschicht würde dann vermutlich die Gefallen-wollen-Kommunikation vorherrschen, während es zwischen den Schichten vorwiegend dominant zugehen würde.
    In modernen Gesellschaften ist die Sklaverei abgeschafft. Viele schwere, belastende und monotone Arbeiten werden nun von Maschinen – den modernen Sklaven – erledigt, deren Antrieb die fossilen Brennstoffe sind. Die Behauptung, die nahezu unbegrenzte Verfügbarkeit fossiler Energiequellen sei die entscheidende Voraussetzung für die Abschaffung der Sklaverei gewesen, lässt sich jedenfalls nicht völlig von der Hand weisen.
    Da in modernen, individualistischen Gesellschaften alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, und Kollektivaufgaben immer stärker institutionalisiert werden, verliert auch die dominante Kommunikationsform zunehmend an Bedeutung.

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