Evolution, Zivilisation und Verschwendung
zumindest für alle Arten, bei denen die Nachkommen so gut wie nichts zur Versorgung der Älteren beitragen.
Natürlich war diese Problematik auch den Soziobiologen bekannt, weswegen sie aus einem angeborenen „Arterhaltungstrieb“ mal eben einen „GenErhaltungstrieb“ gemacht haben: Es sei das egoistische Gen, was bei der Fortpflanzung seine Interessen durchsetzt.
Eine solche Annahme dürfte aber kein bisschen weniger spekulativ sein, als der von Konrad Lorenz ausgemachte angebliche Arterhaltungstrieb. Denn immerhin konnten ja die vorangegangenen Abschnitte zeigen, dass sich der Begriff des Gens in diesem Zusammenhang noch nicht einmal präzise definieren lässt.
Es dürfte also auch hier Sinn machen, wieder zu den eigentlichen Grundlagen zurückzukehren.
Beim Prinzip Eigennutz geht es zunächst einmal um die Durchsetzung von Interessen. Und eigenständige Interessen können nach meinem Verständnis nur Systeme mit entsprechenden Eigenschaften besitzen, nicht aber etwa einzelne DNA-Abschnitte. Womit wir wieder beim Individuum wären.
Die im vorliegenden Kapitel präsentierte
Systemische Evolutionstheorie
weist den Individuen einer Population ganz explizit ein individuelles Reproduktionsinteresse zu. Die Individuen würden sich dann ganz automatisch so verhalten, als zögen sie aus der Fortpflanzung einen Eigennutz. Sie wären folglich bestrebt, eine ihrem Reproduktionsinteresse entsprechende Zahl an Nachkommen zu haben. Damit sie das aber auch wirklich tun, muss das Reproduktionsinteresse biologisch implementiert sein, und sich unter anderem in den eigenen Genen ausdrücken. Denn wir sahen ja bereits: Ganz egoistisch betrachtet macht die Fortpflanzung aus Sicht des Individuums nicht unbedingt Sinn.
Dass eine solche biologische Implementation des Fortpflanzungsinteresses – insbesondere in Form des Sexualtriebes – tatsächlich gegeben ist, zeigt sich sehr deutlich am Fortpflanzungsverhalten moderner menschlicher Gesellschaften, deren Bürger unter bestimmten Rahmenbedingungen, wie die generelle Berufstätigkeit der Frauen und die allgemeine Verfügbarkeit von Kontrazeptiva, zwar noch ein ausgeprägtes Verlangen nach Sex besitzen, aber weder ein Interesse an der Arterhaltung noch an der eigenen GenErhaltung zu haben scheinen, denn nun können sie ja ihr Reproduktionsinteresse regelrecht beherrschen und in der Folge dann auch ökonomisch bewerten und mit verschiedenen anderen Lebensoptionen vergleichen. Statt für ein Kind wird sich dann beispielsweise für einen Hund entschieden.
In modernen menschlichen Gesellschaften hat auch in der Fortpflanzungsfrage der Homo oeconomicus die Oberhand gewonnen. Wie im nächsten Abschnitt noch gezeigt wird, hat der moderne Mensch damit auch die These vom egoistischen Gen widerlegt.
Doch wie ist dann beispielsweise die Verwandtenselektion inklusive der sogenannten Hamilton-Ungleichung zu erklären, die sich ja ganz wesentlich auf den Eigennutz vermeintlich egoistischer Gene stützt?
Ich würde vermuten, die Dinge sind mal wieder so, wie sie im Rahmen der Evolution letztlich immer sind: Die Evolution hat kein Ziel und keineRichtung. Stattdessen setzt sich zu einem bestimmten Zeitpunkt stets das durch, was aus irgendeinem Grunde von Vorteil ist.
Und wenn dann zum Beispiel ein Individuum extrem gut an den vorhandenen Lebensraum angepasst ist, ein sehr hohes Selbsterhaltungsinteresse besitzt, sich aber überhaupt nicht fortpflanzen möchte, dann scheiden seine Gene im Spiel der Evolution aus. Ein außergewöhnlich niedriges Reproduktionsinteresse kann deshalb keine evolutionär erfolgreiche Strategie sein, auch wenn die Fortpflanzung aus Sicht des Individuums zunächst einmal überhaupt keinen Sinn macht.
Wenn sich bei den Wölfen nur die Alphatiere paaren, Löwenmännchen nach Übernahme eines Harems die Jungen ihres Vorgängers töten, Inzest meist tabuisiert ist, Lebewesen sich unbedingt fortpflanzen wollen, manche Spinnenweibchen nach Befruchtung ihre Sexualpartner verspeisen, bestimmte Vogelarten einer anderen Spezies schon mal ein Ei unterschieben, Männchen den Weibchen bei der Aufzucht ihrer Jungen helfen oder vielleicht auch nicht, und Kooperation und Altruismus umso stärker vorzufinden sind, je höher der gegenseitige Verwandtschaftsgrad ist, dann passiert all das aus einem ganz einfachen Grund: Die aufgeführten Verhaltensweisen haben sich als vorteilhaft beziehungsweise evolutionär stabil erwiesen. Und deshalb dienen bestimmte Verhaltensstrategien (zum
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