Evolution, Zivilisation und Verschwendung
Selektion
erklärt, wie Evolution im Allgemeinen funktioniert. Dabei steht die Anpassung an eine sich gleichfalls wandelnde Umwelt im Vordergrund.
Die
sexuelle Selektion
hat die geschlechtliche Fortpflanzung und den Adaptionsprozess an (weibliche) Partnerwahlpräferenzen zum Thema.
Im vorliegenden Kapitel konnte gezeigt werden, dass der Natur mit Einführung der sexuellen Selektion ein entscheidender Durchbruch gelungen ist, da sie nun selbst dann für knappe Ressourcen und damit für eine beschleunigte Evolution sorgen kann, wenn der Lebensraum einer Population keine weiteren Einschränkungen aufweist. Im Prinzip wurde hierdurch für das männliche Geschlecht eine eigenständige „sekundäre“ selektive Umwelt geschaffen: die Weibchen, um deren begrenzten Zugang es nun ging. Und dies war dann oft mit deutlich größeren Mühen verbunden, als die ausreichende Erlangung von Ressourcen zum eigenen Lebensunterhalt.
Bei der sexuellen Selektion handelt es sich somit quasi um einen Turbolader der Evolution. Sie steht nicht im Widerspruch zur natürlichen Selektion, sondern ergänzt sie. Allerdings – und auch darauf wurde mehrfach hingewiesen – kann es unter ihrer Regie zu Selbstläuferprozessen kommen, bei denen eigenständige Merkmale und Phänomene hervorgebracht werden, diesich gelegentlich auch als ausgesprochen ungünstig für die Überlebensfähigkeit einer Art erweisen können (Lorenz 2005: 32).
Was die
sexuelle Selektion
für die
Darwinsche Evolutionstheorie
ist, ist nun die
Gefallen-wollen-Kommunikation
für die
Systemische Evolutionstheorie
: sie schafft eigenständige selektive Umwelten, in denen dann autonome evolutive Prozesse ablaufen können. Anders gesagt: Die Gefallen-wollenKommunikation erzeugt den Rahmen; sie erstellt die evolutive Infrastruktur. Anschließend gestaltet sich darin alles gemäß den Prinzipien der Systemischen Evolutionstheorie.
Dies hat erhebliche Konsequenzen. Denn offenbar hat die Evolution bislang nicht nur verschiedene biologische Arten, sondern auch noch unterschiedliche Interaktionsweisen – und damit dann auch neue Evolutionsinfrastrukturen hervorgebracht. Anders gesagt: Die Evolution hat es gelernt, sich selbst zu reproduzieren. Es gibt seitdem nicht mehr nur eine Evolution, sondern derer viele.
Kamen die Selektionsfaktoren zunächst ausschließlich aus der Natur – weswegen es dafür dann folgerichtig auch
natürliche Selektion
hieß –, so beziehen sie sich nun mehrheitlich auf fremde Gehirne mit ihren subjektiven Erlebnisgehalten (Qualia 145 ), inneren Zuständen und Welten, wobei letztere gemäß den Vorstellungen der Evolutionären Erkenntnistheorie mit der realen Welt sehr weit in Passung sein dürften (Vollmer 1995: 107ff.). In allen modernen Evolutionsinfrastrukturen stehen nun also der Selektionsfaktor „persönlicher Geschmack“ und die Gefallen-wollen-Kommunikation im Vordergrund. Es geht dann auch nicht länger um die Eroberung des Lebensraums, sondern primär um die Überzeugung und Eroberung von Gehirnen.
4.32 Evolution und Systembildung
Die Evolution auf der Erde kann gemäß den bislang erzielten Resultaten auch als ein Prozess der Hierarchisierung von Systemen (Systemelemente strukturieren sich zu übergeordneten Systemen) beschrieben werden:
Auf der untersten Ebene entstanden zunächst autopoietische Systeme erster Ordnung (Zellen, Einzeller) mit einem eigenständigen Selbsterhaltungs- und Reproduktionsinteresse, die sich selbst reproduzieren konnten. Die Evolution beschränkte sich zu Beginn auf diese Systemebene.
Zu einem späteren Zeitpunkt bildeten sich komplexere Systeme (Mehrzeller, Organismen, autopoietische Systeme zweiter Ordnung), in denen oft viele Billionen Zellen eingepfercht im Dienste übergeordneter Systeme zusammenarbeiten. Die neuen Einheiten besaßen gleichfalls ein eigenständiges Selbsterhaltungs- und Reproduktionsinteresse und konnten sich selbst reproduzieren. Der erstmalige Zeitpunkt der Organismenbildung ist nicht bekannt. Die heute vorhandenen Baupläne entstanden aber wohl fast alle im Kambrium vor wenig mehr als 500 Millionen Jahren. Die Evolution der Organismen brachte die Artenvielfalt hervor.
Auf Basis der Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit des Menschen entstanden schließlich die Superorganismen (soziale Systeme, Gesellschaften, Organisationssysteme). Diese binden Menschen über Kontrakte (siehe Abschnitt
Systembindungen
auf Seite → ) und gegebenenfalls andere Mechanismen zu größeren Einheiten
Weitere Kostenlose Bücher