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Evolution, Zivilisation und Verschwendung

Evolution, Zivilisation und Verschwendung

Titel: Evolution, Zivilisation und Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Mersch
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einlassen. Entsprechend könnte man dann definieren (Junker/Scherer 2006: 53):
Mikroevolution
Evolution innerhalb vorgegebener Organisationsmerkmale
Quantitative Veränderung
bereits vorhandener
Organe, Strukturen oder Baupläne
Charakteristisch: Variationsvorgänge, Optimierungen, Spezialisierungen, Überlebensstrategien
Fragestellung: Wie werden
vorhandene
Konstruktionen der Lebewesen optimiert?
Makroevolution
Entstehung neuer, bisher nicht vorhandener Organe, Strukturen und Bauplantypen
Damit verbunden auch die Entstehung
qualitativ
neuen genetischen Materials. Oftmals werden in diesem Zusammenhang die Begriffe
Höherentwicklung
beziehungsweise
Anagenese
verwendet.
Charakteristisch: Neu-Konstruktion, neuartige Funktion, Entstehung der Baupläne
Fragestellung: Wie entstehen
Konstruktionen
mit neuartigen Funktionen
erstmals
?
    Die Kritiker der Evolutionstheorie behaupten nun: Die Evolutionstheorie mag durchaus die Mikroevolution plausibel erklären können, auf keinen Fall gilt dies aber für die Makroevolution. Alle bisherigen Begründungen der Evolutionsbiologie für phylogenetische Änderungsvorgänge dieses Ausmaßes sind nicht schlüssig.
    Dies mag aktuell durchaus noch so sein, obwohl der wissenschaftliche Erkenntnisfortschritt gerade in diesem Punkt mit hoher Geschwindigkeit voranschreitet. Ein Problem dabei ist wohl, dass in der Biologie der Prozess der Individualentwicklung (Ontogenese) im Zusammenhang mit der stammesgeschichtlichen Entwicklung eines Lebewesens (Phylogenese) noch nicht vollständig verstanden wird (zu den Begriffen Ontogenese und Phylogenese siehe auch den Abschnitt
Selbsterhaltende Systeme
auf Seite → ). Ursächlich dafür ist sicherlich auch, dass sich die beiden Disziplinen Evolutionsbiologie und Entwicklungsbiologie bislang weitestgehend unabhängig voneinander entwickelt haben, und die drängenden Problemstellungen auf beiden Seiten in der Vergangenheit noch nicht richtig wahrgenommen wurden.
    Ernst Haeckel behauptete bereits im Jahre 1866, dass die Ontogenese (Individualentwicklung) die schnelle Rekapitulation der Phylogenese (stammesgeschichtliche Entwicklung) sei. Er nannte diesen Zusammenhang das
biogenetische Grundgesetz
. Gemäß dieser Vorstellung durchläuft ein Lebewesen während der embryonalen Entwicklung den Status aller stammesgeschichtlichen Vorgänger, das heißt, es klettert während des Auswachsens sozusagen seinen Stammbaum hoch (Kutschera 2008: 238).
    Diese Auffassung wird heute so nicht mehr geteilt. Stattdessen nimmt man nun deutlich abgeschwächt die Gültigkeit einer sogenannten
biogenetischenRegel
an, die ungefähr wie folgt formuliert werden kann (Kutschera 2008: 240f.):
    Während der vorgeburtlichen Individualentwicklung eines Wirbeltieres werden nicht phylogenetisch ältere Erwachsenenstadien durchlaufen, wohl aber frühere Embryogenesen. Die Wirbeltiere rekapitulieren eine vorgeburtliche Entwicklung, die jener sehr ähnlich ist, „welche auch ihre Vorfahren durchliefen und die verwandte Arten durchlaufen. Dabei spiegelt die Reihenfolge, in der neue Strukturen in der Ontogenese erscheinen, zwar nicht stets, aber doch sehr oft, die Reihenfolge wider, in der diese Strukturen in der Evolution auftauchen“. Alle Wirbeltiere durchlaufen somit ein stammes(phylo)typisches embryonales Frühstadium, in dem die Körpergrundgestalt unter anderem durch eine Rückensaite (Chorda dorsalis) und Kiemenfurchen gekennzeichnet ist.
    Mittlerweile wird der bedeutende Zusammenhang zwischen Ontogenese und Phylogenese in der Biologie akzeptiert. Der weiteren Erforschung der damit verbundenen Fragestellungen hat sich die neue Disziplin
Evolutionäre Entwicklungsbiologie
(Evolutionary Developmental Biology, Evo-Devo) angenommen. Deren Ziel ist es, die Evolution von Entwicklungsprozessen zu entschlüsseln und letztlich zu ergründen, wie die Körper-Baupläne heute existierender und ausgestorbener Organismen entstanden sind (Kutschera 2008: 241).
    In diesem Zusammenhang scheint man mittlerweile bereits genauer zu verstehen, dass Individuen während der embryonalen Entwicklung erblich bedingten Einschränkungen unterliegen. Im Verlauf der Phylogenese (der weiteren Evolution) kann deshalb auch nicht jeder erdenkliche Phänotyp realisiert werden. Beispielsweise sorgen vorhandene Entwicklungsbeschränkungen offenkundig dafür, dass Wirbeltiere keine Vierfüßer mit separaten Flügeln („Engel“) hervorbringen können, obwohl solche Lebewesen rein theoretisch funktionstüchtig sein

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