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Evolution, Zivilisation und Verschwendung

Evolution, Zivilisation und Verschwendung

Titel: Evolution, Zivilisation und Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Mersch
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Opportunitätskosten.
    Wenn sich in einem Restaurant die zeitlichen Aufwände für Kochen und Bedienen ungefähr die Waage halten, dann ist die Vereinbarkeit von Kochen und Bedienen (alle Mitarbeiter machen beide Arbeiten gleichermaßen) eine ineffiziente Lösung, eine Arbeitsteilung zwischen Kellnern und Köchen dagegen vergleichsweise effizient. Spätestens seit den Arbeiten von Adam Smith und David Ricardo (Ricardos Theorem der komparativen Kostenvorteile) gehört dies zu den gesicherten Erkenntnissen der Wirtschaftswissenschaften. Ganz ähnlich sieht es beim Verhältnis von Familie und Beruf aus, und zwar insbesondere in Mehrkindfamilien, wo die Familienarbeit ein solches Ausmaß annimmt, dass sie zum Fulltime-Job generiert.
    Grundsätzlich handelt es sich bei der
Vereinbarkeit von Familie und Beruf
um einen Balanceakt zwischen zwei völlig unterschiedlichen, zeitaufwändigen Tätigkeiten. Man hat sich dann individuell zu entscheiden, wo die Trennlinie zwischen den beiden zentralen Lebensaufgaben gezogen werden soll: mehr auf der Seite des Berufs oder eher auf der Familienseite. Entscheidet sich beispielsweise ein Paar beiderseitig für eine berufliche Karriere, bleibt ihm zwangsläufig weniger Zeit für die Familie. Es hätte zwar dann die ökonomischen Mittel, eine größere Familie zu finanzieren, allerdings fehlte es ihm an Zeit. Mit der beruflichen Beanspruchung dürfte sein Fortpflanzungsinteresse somit zurückgehen. Daraus folgt aber unmittelbar: Als generelles Konzept zur Lösung der Familienproblematik steht die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Widerspruch zur Systemischen Evolutionstheorie. Eine menschliche Gesellschaft mit einem auf solchen Prinzipien basierenden Fortpflanzungsverhalten könnte sich nicht weiter an sich verändernde Rahmenbedingungen anpassen. Sie könnte also nicht weiter evolvieren.
    Unsere komplexe Wirtschaftswelt hat eine ganze Reihe an Berufen hervorgebracht, bei denen man zum Teil ganze Tage oder sogar Wochen außer Haus verbringen muss. Ganz so neu ist die Situation eigentlich nicht, denn für die Seefahrt gilt das schon seit vielen tausend Jahren. Auch heute kann man nicht einerseits auf einem Fracht- oder Kreuzfahrtschiff anheuern und gleichzeitig noch einen angemessenen Beitrag zur Familienarbeit leisten. Familie und Beruf lassen sich in solchen Fällen nur arbeitsteilig vereinbaren. Eine gesellschaftsweite Vorgabe, die davon ausgeht, dass Frauen und Männer ähnliche Lebensentwürfe besitzen und folglich gleichermaßen einer Erwerbsarbeit nachgehen und sich eventuelle Familienarbeiten dann paritätisch teilen, würde Menschen mit solchen Berufen aber regelrecht zur Kinderlosigkeit verdammen, da die jeweiligen Ehepartner dann die gesamte Familienarbeit – ähnlich Alleinerziehenden – zu leisten hätten, wodurch sich für sie eine gleichzeitige Berufstätigkeit und damit Verdienstmöglichkeit praktisch ausschließt. Selbst kleinere Familien wären unter solchen Verhältnissen kaum noch zu finanzieren.
    Im Abschnitt
Systemflexibilität
auf Seite → wurde aufgezeigt, dass die moderne Wirtschaftsweise immer höhere Flexibilitätsanforderungen an die Beschäftigten stellt (Sennett 2007), die aber mit deren Reproduktionsinteressen kollidieren, da beim Aufziehen von Nachwuchs nicht Flexibilität, sondern in erster Linie Verlässlichkeit verlangt wird. Auch aus diesem Grund dürfte eine
Vereinbarkeit von Familie und Beruf
in der Praxis auf erhebliche systemimmanente Schwierigkeiten stoßen.
    Und schließlich steht die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf
als generelles gesellschaftliches Konzept im Widerspruch zur
Individualisierungsthese
(Beck 2006; Mersch 2007a: 136ff.), die eine sich verstärkende Arbeitsteilung, keineswegs aber das Zusammenführen völlig unterschiedlicher und vorher bereits arbeitsteilig verrichteter Tätigkeiten prognostiziert (siehe dazu auch die Ausführungen im Kapitel
Zivilisation
auf Seite → ).
    Fazit: Das Konzept der grundsätzlichen
Vereinbarkeit von Familie und Beruf
steht in Verbindung mit der generellen
Angleichung der Lebensentwürfe beider Geschlechter
und dem Konzept der
Familie als ökonomisch autarke Einheit
(Wirtschaftsfunktion der Familie) sowohl im Widerspruch zur soziologischen
Individualisierungsthese
als auch zur
Systemischen Evolutionstheorie
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    148 Die Zusammenhänge lassen sich auch unmittelbar aus der Systemischen Evolutionstheorie ableiten. Wenn eine Bevölkerung aus lauter Individuen besteht, die sich alle

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