Evolution, Zivilisation und Verschwendung
kulturell, sozial, wissenschaftlich, technisch etc. – die Rede ist, dann sind immer selbstständige Evolutionen, das heißt, evolutionäre Entwicklungen, die sich ohne fremde Hilfe selbstorganisieren, gemeint.
Natürlich müssen Sie kein Atheist sein, um an die Richtigkeit der Evolutionstheorie zu glauben. Sie könnten beispielsweise annehmen, der Mensch sei tatsächlich evolutionär aus dem Tierreich hervorgegangen, trotzdem würden Sie aber nach Beendigung Ihres Lebens in den Himmel kommen, wo ein göttliches Wesen auf Sie wartet, jedenfalls dann, wenn Sie sich vorher im Leben ordentlich benommen haben 56 . Auch könnten Sie sich relativ gefahrlos auf die Meinung zurückziehen, ein göttliches Wesen habe irgendwann einmal das Universum – und mit ihm alle physikalischen Gesetze – in einem gigantischen Urknall geschaffen, hätte sich aber seitdem aus dessen weiteren Entwicklung weitestgehend herausgehalten 57 .
Für Atheisten gelten entsprechende Vorstellungen jedoch nicht. Aber auch sie machen sich ja in der Regel Gedanken darüber, was moralisches Verhalten ist, welchen Sinn das Leben hat, und warum überhaupt alles so ist, wie es ist. Und für diese Menschen ist dann eben nicht „Gottes Wort“ die Grundlage ihres Denkens, sondern ganz wesentlich auch die Evolutionstheorie, wobei sie nicht selten anzumerken pflegen, dass eine solche evolutionäre Vorstellung – anders als der Glaube an Gott – eine kaum widerlegbare empirische Tatsache sei und deshalb kein Glaube ist 58 .
Wie auch immer: Wenn Sie nicht an Gott glauben, benötigen Sie eine andere Welterklärung, und dazu trägt ganz wesentlich die Evolutionstheorie bei.
4.1 Biologische Evolutionstheorie
Die von Charles Darwin entwickelte biologische Evolutionstheorie erklärt die Entwicklung des Lebens auf der Erde und die fortlaufende Anpassung von Populationen an ihren Lebensraum. In ihr spielt der Fortpflanzungsmechanismus eine entscheidende Rolle.
Die Prinzipien der biologischen Evolutionstheorie sind 59 :
Eine Population besteht aus unterschiedlichen (einzigartigen) Individuen (Phänotypen), die mehr oder weniger gut an ihren Lebensraum angepasst und untereinander fortpflanzungsfähig sind. Dieses Prinzip heißt
Variation
.
Die Individuen müssen sich zunächst im Leben bewähren. Die Bewährung stellt sozusagen einen Test bezüglich des Grads ihrer Angepasstheit beziehungsweise Anpassungsfähigkeit an den jeweiligen Lebensraum dar. Zur Anpassungsfähigkeit zählt bei der sexuellen Fortpflanzung auch die Attraktivität gegenüber dem anderen Geschlecht. Die Kernaussage ist nun: Individuen, die an ihre jeweilige Umgebung besser angepasst sind, hinterlassen im Durchschnitt mehr Nachkommen als weniger gut angepasste (= bringen mehr Nachkommen bis zur Fortpflanzungsreife). Dieses Prinzip heißt
Selektion
beziehungsweise auch
natürliche Selektion
.
Da für das Aufziehen von Nachwuchs in der Regel erhebliche zusätzliche Ressourcen erforderlich sind, drückt sich eine bessere Angepasstheit beziehungsweise Anpassungsfähigkeit insbesondere in der Fähigkeit aus, entsprechende Ressourcen zu erlangen, das heißt, erfolgreich zu sein in der
Konkurrenz
60 um begrenzte Ressourcen wie Energie oder Raum. Erfolg ist immer relativ, genauso wie Entwicklung. Das Selektionskriterium verbindet Entwicklung (Evolution) mit Erfolg.
Im Englischen wird die Angepasstheit als
Fitness
bezeichnet, weswegen das Kriterium auch den Namen
Survival of the Fittest
(
Überleben der Tauglichsten
) trägt (siehe dazu allerdings auch die Ausführungen im Abschnitt
Fitness
auf Seite → ).
Im Rahmen der Fortpflanzung geben Individuen viele Eigenschaften, die ihnen in ihrem Leben geholfen haben, an ihre Nachkommen weiter. Dieses Prinzip heißt
Vererbung
oder auch
Replikation
(manchmal auch Reproduktion).
Die Kernaussage der biologischen Evolutionstheorie ist nun: Wenn die drei Prinzipien Variation, Selektion und Vererbung gegeben sind, ist Evolution unvermeidlich die Folge (Blackmore 2006: 50).
Für die ursprüngliche Darwinsche Evolutionstheorie spielt es keine Rolle, ob die
Vererbung
über Gene oder etwa durch Erziehung (beziehungsweise auch Imitation) oder einen sonstigen Mechanismus erfolgt. Auch akzeptierte Darwin noch die als
Lamarckismus
(siehe dazu den Abschnitt
Lamarckismus
auf Seite → ) bezeichnete Vererbung erworbener Eigenschaften (Lenzen 2003: 55).
Für die moderne
synthetische Evolutionstheorie
steht aber die Genetik im Vordergrund. Ihre Hauptaussagen sind: Die
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