Evolution, Zivilisation und Verschwendung
bedrohlichen Nahrungsverknappung kam (Klimaveränderungen, Überjagung), erfanden die Menschen Ackerbau und Viehzucht (Neolithische Revolution). Der dadurch bedingte Wechsel zu einer vergleichsweise vitalstoffarmen Ernährung hatte zunächst erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen und die Entstehung eines Großteils der heute bekannten Zivilisationserkrankungen zur Folge (siehe Abschnitt
Leben und Energie
auf Seite → ). Entscheidend aber war, dass die Menschheit auf diese Weise weiter existieren konnte (Selbsterhaltung). Allerdings waren nun ganz andere Kompetenzen als bei den Jägern und Sammlern gefragt. Diese Fähigkeiten bildeten sich jedoch sukzessive von ganz alleine heraus, und zwar als Folge des Überlebenswillens und Reproduktionsinteresses der Individuen. Anders gesagt: Eine Population passt sich nicht einseitig an eine ihr vorgegebene Umgebung an, sondern sie konstruiert ihre Adaption im Zusammenspiel mit ihrer Umwelt, in die sie gegebenenfalls massiv verändernd eingreift, selbst.
Das jeweilige
Reproduktionsinteresse
kann an Bedingungen geknüpft sein. Im Falle der biologischen Fortpflanzung beginnt es meist erst ab einem bestimmten Alter und lässt mit den Jahren wieder nach 92 . Eventuell ist es nur unter bestimmten Gegebenheiten (zum Beispiel Jahreszeiten) vorhanden, während es unter anderen Umständen reduziert ist oder dann sogar ganz zurücktritt (beispielsweise bei der Verwandtenselektion,oder bei Nichterlangung eines bestimmten Rangs innerhalb der Population). Auch könnten die Individuen über unterschiedliche Reproduktionskapazitäten (die Zahl der von ihnen pro Zeiteinheit abwickelbaren Reproduktionen) verfügen. Schließlich könnten die einzelnen Individuen generell unterschiedlich starke Reproduktionsinteressen besitzen.
Individuen mit einem ungewöhnlich niedrigen Reproduktionsinteresse (zum Beispiel Vogelexemplare mit einer besonders kleinen Gelegegröße) würden sich im Vergleich zum Rest der Population nicht ausreichend vermehren. Das gleiche gilt für Lebewesen, die mehr Nachwuchs in die Welt setzen als sie dann ernähren können (= zu hohes Reproduktionssinteresse) (Weber 2005: 183). In beiden Fällen dürften solche Interessenabweichungen aber innerhalb der Population langfristig an Bedeutung verlieren, so dass sich – sofern keine systematische Ursache vorliegt – ein Gleichgewichtszustand einstellen würde (Dawkins 2007: 216).
Ist der Lebensraum begrenzt, dürfte es auf Dauer zu einer Konkurrenz unter den Individuen um den Zugriff auf die Ressourcen kommen 93 .
Lebewesen können sich nur dann fortpflanzen, wenn sie den entropiearmen Zustand in ihrem Inneren permanent aufrechterhalten und zusätzlich noch die für den Reproduktionsprozess erforderlichen Ressourcen (Raum, Energie, Wasser etc.) beschaffen. Können die Individuen einer Population im vorhandenen Lebensraum nicht allesamt die für eine vollständige Befriedigung ihrer Reproduktionsinteressen benötigten Ressourcen erlangen, liegt eine Begrenzung des Lebensraums vor. Die Population steht dann unter einem
Selektionsdruck
. Wie bereits im Abschnitt
Sozialdarwinismus
auf Seite → ausgeführt wurde, ließ sich Charles Darwin bei seiner ursprünglichen Formulierung des Prinzips der natürlichen Auslese sehr stark von den Gedanken Thomas Robert Malthus leiten. Charles Darwin kam zu dem Schluss, dass es in der Natur für beliebige Populationen immer zu einer Begrenzung des Lebensraums kommen müsse. Dies ist jedoch nicht zwingend der Fall.
Wie später noch gezeigt wird, hat die Natur mit der Einführung der sexuellen Fortpflanzung und dem damit üblicherweise einhergehenden ungleichen Reproduktionsinteresse der beiden Geschlechter für eine künstliche Ressourcenverknappung (in Bezug auf die Erfüllung von Reproduktionsinteressen) und damit eine Erhöhung des Selektionsdrucks gesorgt. Nun könnten die Lebewesen selbst wie im Schlaraffenland leben und ihre Populationsgröße unverändert lassen, trotzdem würde es durch die ungleiche Verteilung der Reproduktionsinteressen zu einem Selektionsdruck kommen.
Die
Darwinsche Evolutionstheorie
macht eine klare Unterscheidung zwischen
natürlicher Selektion
(siehe Abschnitt
Biologische Evolutionstheorie
auf Seite → ) und
sexueller Selektion
(siehe Abschnitt
Sexuelle Selektion
auf Seite → ). Für beide Evolutionsmechanismen geht sie sogar von unterschiedlichen Prämissen aus, zum Beispiel bei der natürlichen Selektion von dem „in der Natur zu beobachtenden Phänomen
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