Evolution, Zivilisation und Verschwendung
sorgen:
eine ausreichende Zahl an Nachkommen (Quantität)
die Weitergabe der Kompetenzen der vorangegangenen Generation an die nächste Generation
Entsprechend werden in der Soziobiologie
quantitative
und
qualitative
Nachwuchsstrategien unterschieden. Im Grunde handelt es sich bereits bei der sexuellen Fortpflanzung getrenntgeschlechtlicher Populationen um eine vorrangig qualitative Nachwuchsstrategie, denn Hermaphroditenpopulationen könnten deutlich mehr Nachkommen „produzieren“, wären folglich quantitativ überlegen. Trotzdem haben sie sich in der Natur nicht durchgesetzt, was eindrucksvoll für die hohe Bedeutung des Qualitätsaspekts bei der Fortpflanzung spricht.
Die Grundprinzipien der Systemischen Evolutionstheorie nehmen auf diesen Zusammenhang indirekt Bezug, indem sie nämlich fordern, dass das Reproduktionsinteresse der Individuen mit steigender Anpassung an den Lebensraum (höherem sozialen Erfolg) nicht statistisch signifikant zurückgehen darf.
Wie das Kapitel
Demographischer Wandel
auf Seite → noch zeigen wird, war diese Bedingung unter dem patriarchalischen Ernährermodell erfüllt. Da bei diesem Familienmodell im Wesentlichen nur die Männer arbeiten gingen und die Frauen sich fast ausschließlich auf reproduktive Aufgaben konzentrierten, konnten sich die jeweiligen Familien umso mehr Kinder „leisten“, je höher das nahezu ausschließlich von den Männern erwirtschaftete Familieneinkommen war.
All dies gilt aber unter der Rahmenbedingung der Gleichberechtigung der Geschlechter und dem dabei propagierten familialen Vereinbarkeitsmodell nicht mehr. Nun geraten produktive und reproduktive Tätigkeiten beziehungsweise sozialer und reproduktiver Erfolg in einen unmittelbaren Zielkonflikt miteinander, denn wer mehr arbeitet, hat zwangsläufig weniger Zeit und höhere Opportunitätskosten für Kinder. Ich werde auf diesen entscheidenden Punkt im Kapitel
Demographischer Wandel
auf Seite → noch im Detail eingehen. Dabei werde ich dann auch andeuten, wie die Grundprinzipien der Systemischen Evolutionstheorie auch in gleichberechtigten modernen Gesellschaften eingehalten werden können, und zwar ohne dabei in eine erneute Sozialdarwinismus-Debatte einsteigen zu müssen.
4.11 Sexualität
Der Sinn der sexuellen Fortpflanzung und damit der Sexualität insgesamt galt in der Biologie lange Zeit als rätselhaft 106 . Biologen weisen heute meist auf die sehr große genetische Vielfalt hin, die auf diese Weise entstehen kann (Junker 2006b: 67):
Der Vorteil der sexuellen Reproduktion besteht höchstwahrscheinlich darin, dass das genetische Material durch die zufällige Verteilung väterlicher beziehungsweise mütterlicher Chromosomen auf die Nachkommen sowie durch den genetischen Austausch zwischen (homologen) Chromosomen (crossing-over) durchmischt wird. Dadurch haben die Nachkommen jeweils neue, einzigartige Mischungen von Genen. Sexualität ist wie eine genetische Lotterie, die in jeder Generation Gewinner und Verlierer produziert, da durch die Rekombination gute von schlechten Genen getrennt werden. Manche Individuen haben deshalb geringere Überlebensund Reproduktionschancen, wodurch schädliche Mutationen entfernt werden. Andere Gen-Kombinationen weisen eine höhere Fitness auf und verbreiten sich. Und schließlich bringt die Durchmischung eine höhere Flexibilität mit sich, wodurch die Anpassung an neue Umweltbedingungen, Krankheitserreger und Parasiten erleichtert wird. Bei asexueller Reproduktion erben die Nachkommen dagegen alle – gute wie schlechte – Gene und zu Veränderungen kommt es nur durch Mutationen.
Manfred Eigen betont, die Vielfalt des Lebens sei überhaupt erst durch die genetische Rekombination möglich geworden (Eigen 1987: 241):
Doch so effizient die molekulare Maschinerie der (Mikro-)Organismen inzwischen geworden war, so unflexibel erwies sie sich in Bezug auf ihre weitere Evolution. Zum einen nahm die hohe Reproduktionsgenauigkeit dem einzelnen Gen jegliche Flexibilität, zum anderen wurden eingetretene Veränderungen ausschließlich vertikal, das heißt, an die unmittelbare Nachkommenschaft weitervererbt. Das mag mit ein Grund dafür gewesen sein, dass die Evolution für mehr als zwei Milliarden Jahre auf der Stufe der Einzeller verharrte, obwohl diese innerhalb von weniger als einer Milliarde Jahren voll entwickelt waren. Die reiche Vielfalt des Lebens, die sich in unserer Zeit in Millionen verschiedener Spezies ausdrückt, ist indes das Ergebnis einer Evolution,
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