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Evolution

Evolution

Titel: Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
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Gruppen übernahmen Kaziken
die Kontrolle, um das ›öffentliche Leben‹ zu
regeln.
    Doch nun war es nicht mehr möglich, dass alle sich an allen
Entscheidungen beteiligten. Es hatte keinen Sinn mehr, dass jede
Familie ihre eigene Nahrung anbaute und sammelte, dass sie ihre
eigenen Werkzeuge und Bekleidung anfertigte und auf eigene Rechnung
mit den Nachbarn Handel trieb. Und jeden Tag mussten die Menschen
damit rechnen, Fremden zu begegnen und sich mit ihnen arrangieren zu
müssen, anstatt sie wie in den alten Zeiten zu verjagen oder
gleich umzubringen. Die alten verwandtschaftlichen Loyalitäten
genügten nicht mehr: Es bedurfte einer Art Polizeigewalt, um die
Ordnung aufrechtzuerhalten.
    Schnell entstanden zentrale Kontrollinstanzen. Macht und
Ressourcen konzentrierten sich zunehmend in den Händen einer
Elite. Fürsten und Könige etablierten sich und
beanspruchten ein Monopol auf Entscheidungen, Information und Macht.
Eine neue Art der Verteilungswirtschaft bildete sich heraus. Es
entstanden politische Organisationen, ein schneller technischer
Fortschritt kam in Gang, und der Grundstein für Schrift,
Bürokratie und Steuerwesen wurde gelegt: Die Mittel, derer die
Menschen sich bedienten, erlebten eine Explosion der funktionalen
Differenzierung.
    Und zum ersten Mal in der Geschichte der Hominiden gab es Leute,
die für ihre Nahrung nicht arbeiten mussten.
    Seit dreißigtausend Jahren hatte es nun schon Religion,
Kunst, Musik, mündliche Überlieferung und Kriege gegeben.
Doch nun vermochten die neuen Gesellschaften sich Spezialisten zu
leisten: Leute, die nichts anderes taten als zu malen oder Melodien
für Flöten aus Knochen und Holz zu komponieren oder
über das Wesen eines Gottes Spekulationen anzustellen, der einer
unwürdigen Menschheit das Geschenk des Feuers und des Ackerbaus
vermacht hatte. Aus dieser Tradition sollte sich schließlich
ein Großteil der Schönheit und Größe des
menschlichen Potenzials manifestieren. Zugleich würde sie aber
auch Armeen berufsmäßiger Mörder aus Leidenschaft
hervorbringen, von denen Kerams Soldaten nur die Vorhut waren.
    Und fast überall und von Anfang an wurden die neuen
Gemeinschaften von Männern dominiert: Männer konkurrierten
untereinander um die Macht, in Gesellschaften, in denen Frauen mehr
oder weniger als eine Ressource betrachtet wurden. In den Zeiten der
Jäger und Sammler hatten die Menschen sich für kurze Zeit
aus dem Gefängnis der männlichen Primaten-Hierarchien
befreit. Gleichheit und gegenseitiger Respekt waren kein Luxus
gewesen: In den Gemeinschaften der Jäger und Sammler existierte
eine strukturelle Gleichberechtigung, weil es nämlich im
offensichtlichen Interesse aller lag, Nahrung und Wissen zu teilen.
Doch diese Zeiten neigten sich nun dem Ende zu. Auf der Suche nach
neuen Organisationsformen für ihre anschwellende Zahl fielen die
Menschen in die ebenso bequemen wie geistlosen Muster der
Vergangenheit zurück.
    Die städtischen Verdichtungen waren eine völlig neue
Lebensweise. Die Hominiden im Besonderen und die Primaten im
Allgemeinen hatten noch nie auf so dichten Haufen zusammengelebt.
Zugleich war das aber auch ein Rückfall in die graue Vorzeit.
Die neuen Städte hatten nämlich weniger Ähnlichkeit
mit den Gemeinschaften der Jäger und Sammler als vielmehr mit
den Schimpansen-Kolonien im Urwald.
     
    Junas vermeintliche Sicherheit währte ganze vier Jahre.
    In dunkler Nacht rüttelte Keram sie wach. »Komm. Hol die
Kinder. Wir müssen von hier verschwinden.«
    Juna setzte sich verschlafen auf. Am Abend zuvor hatten sie eine
Party gegeben, und Juna hatte mehr getrunken, als ihr zuträglich
war. Nur Gesellschaften, die Ackerbau betrieben, vermochten
alkoholische Getränke herzustellen, denn sie benötigten
hierzu Getreide – einer der größten Vorteile der
Bauern gegenüber den Jägern, die vom Bier abhängig
geworden waren, ohne indes in der Lage zu sein, selbst welches zu
brauen. Was Juna betraf, so war das ein Luxus, an den sie sich erst
noch gewöhnen musste.
    Sie schaute sich um, versuchte richtig wach zu werden und einen
klaren Kopf zu bekommen. Im Raum war es dunkel, doch es fiel Licht
durchs Fenster. Aber kein Tageslicht, sondern Feuerschein.
    Und nun hörte sie auch das Geschrei.
    Sie stieg aus dem Bett und streifte sich ein Hemd über. Dann
ging sie ins Nebenzimmer und weckte die Kinder. Die beiden Jungen
quengelten wegen dieser Ruhestörung und schliefen dann wieder in
ihren Armen ein. Sie ging zu Keram zurück, der

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