Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Evolution

Evolution

Titel: Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
vorwerfen, dass ich die Moral untergrabe? Ich weise nur
auf etwas hin, das selbst ein Blinder mit einem Krückstock
sieht.«
    »Damit können wir uns auch später noch
befassen«, sagte Ahmed mit einer Ruhe, die Snowy imponierte.
»Was wir nun zu tun haben, ist auch offensichtlich.«
    Snowy nickte. »Wir müssen einen Unterschlupf
finden.«
    Bonner stieg auf einen flachen Hügel, der vielleicht einmal
eine Mauer gewesen war und wies gen Westen. »Diese Richtung. Ich
sehe Mauern. Ich meine, stehende Mauern. Etwas, das noch halbwegs
intakt aussieht.«
    Mit einem irrationalen Funken Hoffnung schaute Snowy in die
angegebene Richtung. Er sah, dass es sich um eine Kirche handelte.
Eine mittelalterliche Kirche. Er erkannte die hohen, schmalen Fenster
und das Tor. Aber das Tor und das Dach waren längst
verschwunden, sodass das offene Gebäude den Elementen ausgesetzt
war. Er spürte Enttäuschung – und zugleich einen
Anflug von Bewunderung.
    Sidewise schien seine Gedanken zu erraten. »Wenn man schon
baut, dann sollte man aus Steinen bauen.«
    »Was glaubst du, wo wir sind? England, Frankreich?«
    Sidewise zuckte die Achseln. »Ich kenne mich mit Kirchen
nicht so aus.«
    Ahmed hob seinen Rucksack auf. »In Ordnung. Das Dach fehlt,
also werden wir uns behelfen müssen. Bonner, Snowy, ihr kommt
mit mir – wir suchen Holz. Und wir werden ein Feuer machen
müssen. Moon, Sidewise, darum kümmert ihr euch.« Er
ließ den Blick über ihre Gesichter schweifen, die wie
Münzen in der Dämmerung schimmerten. Dies wäre das
erste Mal seit dem Aufwachen, dass sie sich aus den Augen verloren,
und selbst Snowy verspürte einen Anflug von Unsicherheit.
»Geht aber nicht so weit«, sagte Ahmed. »Außer
uns ist niemand hier, sodass wir auch von niemandem Hilfe erwarten
können. Falls doch etwas passiert – irgendetwas –,
ruft oder gebt einen Schuss ab, und dann kommen die anderen zu Hilfe.
In Ordnung?«
    Sie nickten und murmelten etwas vor sich hin. Und dann
verschwanden sie in der Dunkelheit, um ihre Aufträge
auszuführen.
     
    Das Innere der Kirche war auch ein grünes Biotop. An einem
Ende war ein Hügel, bei dem es sich vielleicht um den Altar
gehandelt hatte, aber es gab keine Spur von Kirchenbänken oder
Kruzifixen, Gebetsbüchern oder Kerzen. An Stelle des Dachs
klaffte eine große Lücke; kein Stück war mehr von der
hölzernen Konstruktion übrig, die einst diese massiven
Wände überspannt haben musste.
    Sie errichteten Unterstände, bauten Lager aus Zweigen und
deckten sich mit Blättern ab. Angenehm würde diese Nacht
nicht werden, aber auch nicht so schlimm wie das
Überlebenstraining, das sie alle absolviert hatten.
    Sie verpflegten sich aus den Rationspäckchen und mampften
getrocknete Bananen und Dosenfleisch. Die Früchte des Waldes
verschmähten sie. Da spielte auch ein wenig Aberglaube mit
hinein, sagte Snowy sich, indem sie so lang wie möglich an den
Relikten der Vergangenheit festhalten wollten, bevor sie sich dieser
neuen Gegenwart aussetzten. Aber es war schon richtig, es langsam
angehen zu lassen. Dass Ahmed sie gewähren ließ, bewies
seine psychologische Kompetenz. Langfristig würden sie sich
sowieso umstellen müssen.
    Sie waren alle recht erschöpft nach dem langen Marsch, den
sie gleich nach dem Verlassen der Grube absolviert hatten. Snowy
fragte sich, wie sie sich bewährt hätten, wenn sie wirklich
hätten kämpfen müssen; vielleicht hätte diese
Strategie überhaupt nicht so funktioniert, wie die Planer es
sich vorgestellt hatten. Und allen machten die Füße zu
schaffen – sie waren mit Blasen übersät und
schmerzten. Das lag daran, dass sie keine Strümpfe trugen. Snowy
befürchtete, dass sie ihre beschränkten Vorräte an
Salben zu schnell aufbrauchen würden. Morgen würden sie
sich etwas einfallen lassen müssen.
    Aber es war dennoch tröstlich, sich in diesen Überresten
menschlicher Architektur einzurichten, als ob sie sich noch immer im
Schoss der Zivilisation befänden, aus dem sie hervor gekrochen
waren. Trotzdem würde das Feuer die ganze Nacht brennen
müssen.
    Zu seiner Erleichterung war Snowy zu müde, um sich noch
großartig den Kopf zu zerbrechen. Trotzdem vermochte er nicht
einzuschlafen.
    Er rollte sich unruhig auf den Rücken. Die Nacht war warm
– zu verdammt warm für einen englischen Frühling;
vielleicht hatte das Klima sich geändert, und der
Treibhauseffekt war außer Kontrolle geraten. Der Himmel, der
von den Umfassungsmauern eingerahmt wurde, war mit Sternen
übersät,

Weitere Kostenlose Bücher