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Ewig Dein

Ewig Dein

Titel: Ewig Dein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Glattauer
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führte sie nicht auf Irrwege, an den Rand des Abgrunds. War sie nun endgültig geheilt von ihrer dummen kleinen Krankheit oder Schwäche oder Krise, oder wie auch immer »der Wurm« hieß, der in ihrem Kopf herumgeschlichen war? Sie brannte darauf, den Beweis anzutreten. Dazu brauchte sie – ihn.
     
    »Hallo Hannes, am Samstag sind ein paar Freunde bei mir zum Essen eingeladen. Gerd mit seiner Neuen, Lara und Valentin, Ilse, Roland und Nina, eine Geschäftskollegin. Wenn du Lust hast, kannst du auch vorbeikommen.« Nein, den dritten Satz ihrer SMS-Mitteilung änderte sie: »Wenn du noch nichts vorhast, kannst du gerne kommen.« Dann noch: »Es gibt Wildgulasch. So gegen zwanzig Uhr geht’s los.« (Die Freunde waren schon für neunzehn Uhr geladen.) Und: »Freundlicher Gruß, Judith.«
    Nicht drei Minuten, sondern drei Stunden später kam die erfrischend kurze und sachliche Rückmeldung: »Hallo Judith, das ist nett. Komme gerne. Bis Samstag gegen acht. Lg, Hannes.«
     
5.
    Erstens vertrugen sich die Tabletten bestimmt nicht mit Alkohol. Zweitens würde sie am Abend bestimmt Alkohol trinken (weil sie ja schon am Nachmittag damit begonnen hatte). Drittens brauchte sie keine Tabletten mehr, weil sie furchtlos war. Viertens hatte sie einen großartigen Spätoktobersamstag auf dem Wiener Naschmarkt, im Kaufhaus Hofer, daheim in ihrer Küche und, mit Kopfhörern im Ohr, auf der Wohnzimmercouch, im Licht ihrer glitzernden Goldregen-Lampe verbracht.
    Die Neunzehn-Uhr-Gäste kamen pünktlich. Romy war eine quirlige Kolumbianerin mit Diana-Ross-Frisur nach einem Regenguss, die in Wien Stepptanz unterrichtete. Was noch viel exotischer anmutete: Gerd war Hals über Kopf in sie verliebt, so erlebte man ihn nur alle zehn, fünfzehn Jahre einmal. Erstaunlicherweise trug keines der beiden anderen Pärchen gerade offen ein Beziehungsproblem aus, und Nina fügte sich perfekt in die Gruppe ein. Ideale Voraussetzungen für Judith, der man die Hochstimmung sofort anmerkte, in distanzierter, selbstironischer Weise von ihrer »irren Zeit« zu erzählen. Besonders ausführlich schilderte sie die Szene, als der hübsche römische Fischer-Jüngling Chris um vier Uhr früh im Bett neben ihr feststellen musste, dass »jemand« ordentlich bei ihm angebissen hatte. Vor allem Nina konnte von den Details dieser Episode nicht genug kriegen.
    Hannes wurde mit keinem Wort erwähnt. Mit ihm wollte Judith sie alle überraschen, er sollte ihr Trumpf, sein Erscheinen ihr Triumph werden. Aber er hatte bereits dreißig Minuten Überzeit, und die Freunde erkundigten sich immer ungeduldiger nach der Befindlichkeit des Wildgulaschs. Knapp vor neun schickte er ihr ein SMS. Sie las es geheim in der Küche: »Liebe Judith, es tut mir leid, ich schaffe es heute nicht mehr. So viel Arbeit! Ein andermal gerne. Lass bitte alle herzlich von mir grüßen, Hannes.« So nüchtern die Botschaft, so trocken der Cognac danach.
    An der Reaktion der Freunde bemerkte sie ihren sukzessiven Verfall. Ob alles okay mit ihr war? – »Doch, doch.« – Warum sie so lustlos in ihrem grandiosen Gourmet-Teller herumstocherte? – »Wahrscheinlich habe ich beim Kochen zu viel genascht, das alte Übel.« – Ob wirklich alles okay mit ihr war? – »Doch, wirklich, kann nur sein, dass ich ein bisschen zu viel Alkohol erwischt habe«, sagte sie und spülte ein Glas Cognac nach, um sicherzugehen.
    Bis zum Schokodessert hielt sie es noch am Tisch aus und versuchte sie, bei den richtigen Stellen der Unterhaltung, die sie in Wortfetzen an sich vorbeiziehen lassen musste, mitzulachen. Danach bat sie, sich kurz auf die Couch legen zu dürfen, ihr war ein wenig schwindlig. »Judith, wenn wir gehen sollen, sag es uns bitte!«, sprach eine der drei Männerstimmen. »Nein, nein, ihr müsst unbedingt bleiben«, wehrte sie sich, »bleibt, solange ihr könnt. Ich freu mich, wenn ihr bei mir seid!«
    Auf der Couch hatte sie die beruhigenden Laute eines gedämpften Gesprächs im Ohr. Ein paar Mal beugte sich jemand über sie. Einmal setzte sich eine der Frauen zu ihr und fragte, ob sie irgendetwas für sie tun könne. Konnte sie nicht. Später stülpte ihr jemand eine Decke über, hob ihren Kopf und ließ ihn in etwas kühlem Weichen versinken. Bald danach vernahm sie das Rücken von Stühlen und den Klang von Geschirr und Abwaschwasser. Gegen Ende zu hörte sie nur noch dünnes Brummen und ein paar müde S-Laute einer allgemeinen Verabschiedung. Das Licht wurde matter und matter, bevor es

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