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Ewig Dein

Ewig Dein

Titel: Ewig Dein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Glattauer
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unterhielten sich über ihre Zukunft. »Das würdest du tatsächlich für uns tun?«, sagte Mama gerührt wie in der Schwiegermutter-Schlussszene eines Heimatfilms. »Natürlich, du weißt, ich liebe sie und ich werde sie nie im Stich lassen«, erwiderte Hannes, ganz der Förster vom Silberwald. Danach folgten eher technische und organisatorische Details zu der bevorstehenden Versorgung und Betreuung der Langzeitpatientin Judith daheim.
    Auf ihrem Kästchen neben dem Bett wartete am Fuße einer halb gefüllten Wasserkaraffe bereits die nächste Serie von Pillen auf sie, appetitlich in Reih und Glied geschlichtet, einladend wie die bunten Augen eines Sieg versprechenden Sechserwürfels.
    Die weißen Tabletten lagen bereits auf ihrer Zunge, als ihr trüb im Raum umherschweifender Blick an einer prall gefüllten Obstschüssel hängen blieb, die man ihr auf die Kommode beim Eingang zum Schlafzimmer gestellt hatte. Instinktiv holte sie sich die Pillen aus der Mundhöhle und versenkte sie in der Bettdecke. Denn plötzlich spürte sie, dass in ihrem Gehirn etwas zu arbeiten begann. Auf rötlichen runden Früchten – Äpfeln, Birnen, Pflaumen – thronte eine große gelbe Masse, die wuchtige Staude von mindestens acht formschön gekrümmten Bananen, die sie zunächst einmal als absurden Fremdkörper wahrnahm. Denn Judith verabscheute Bananen, sie verband damit Durchfallserkrankungen im Vorschulalter, als ihr diese Dinger, mit Kakaopulver zu einem glitschigen braunen Brei verrührt, auf Riesenlöffeln in den Mund geschoben wurden. Der Geschmack klebte noch immer an ihrem Gaumen.
    Je länger sie die Staude anstarrte, desto näher rückte ein bestimmtes Bild. Es führte sie zurück in den Supermarkt, in die Osterzeit, vor nicht einmal sieben Monaten, als sie noch ein völlig normales Leben vor sich zu haben schien und als ihr ein damals fremder Mann auffiel, ein vermeintlicher Familienvater, in dessen Einkaufswagen genau der gleiche Klotz von Bananen lag wie jener, der nun auf ihrer Kommode gelandet war. – Da kamen ihr nun tatsächlich die Tränen. Echte, ehrliche nasse Tränen. Sie schärften ihre Sicht und reinigten ihren Blick. Hinter dieser gelben Staude von Früchten verbarg sich für sie ein Rätsel, das sie zu gern gelöst hätte. Und dieses bei möglichst klarem Verstand.

Phase vierzehn
1.
    Die Tabletten warf sie ab sofort nun immer durch den breiten Schlitz in den Bauch ihres dreißig Jahre alten rosa Plastiksparschweins Specki, das sie unter den Sommer-T-Shirts im Kleiderschrank versteckt hielt – für schlechte Zeiten, man wusste ja nie, wie schnell sie wieder kommen würden.
    Nach außen hin gab sie sich matt und desorientiert, verbrachte die meiste Zeit im Bett oder auf der Couch, machte seltsame Verrenkungen, bewegte sich auf ihren Routinemärschen ins Bad oder auf die Toilette wie Dustin Hofmann in »Rain Man«, murmelte unverständliches Zeug, unterhielt sich angeregt mit sich selbst, oft sogar zu dritt, um intellektuell nicht zu verblöden, starrte zur Entspannung stundenlang ins Leere, zitterte dann plötzlich am ganzen Körper und vergrub sich unter ihrer Decke – ein buntes, abwechslungsreiches Programm aus dem Alltag einer psychisch unablässig auffälligen Person, das ihr umso mehr Spaß machte, je sicherer sie war, dass Hannes nichts davon entging.
    Er war ein vorbildlicher Heimpfleger. Selbst in den Nächten, in denen er nun abwechselnd mit Mama Dienst versah, war er zumindest mit einem Ohr immer bei ihr. Wenn er an ihr Bett kam, stellte sie sich schlafend. Ein paar Mal strich er ihr übers Haar und berührte ihre Wange. Manchmal hörte sie ihn »Schlaf gut, mein Liebling« flüstern. Einige Male spürte sie seinen Atem und vernahm das Geräusch eines knapp über ihrem Gesicht in die Luft gesetzten Kusses. Diese flauen Momente überstand sie tapfer und geduldig. Näher kam er ihr nicht, mehr war von ihm nicht zu befürchten.
    Die Abende verbrachten die beiden Pfleger gerne zu zweit, am liebsten in der Küche. Mama war sozusagen seine außerordentliche Architekturstudentin im ersten Semester, überdies ziemlich schwer von Begriff, was ihn zusätzlich motivierte. Er liebte es, den Laien die Welt zu erklären. Tagsüber war jederzeit mit seinem Erscheinen zu rechnen, und wenn er nur die eingekauften Lebensmittel vorbeibrachte und verstaute. Bananen waren übrigens immer dabei. Judith freute sich über jede diesbezügliche Lieferung und sprühte vor Ideen, wo sich dieses oder jenes Exemplar am

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