Ewig sollst du bueßen
Laprea ihren Mund aufmachte, wurde es nur noch
schlimmer.
»Keine weiteren Fragen mehr«, sagte Anna und setzte sich.
Die Verteidigung wollte kein Kreuzverhör. Warum sollte sie auch?
Alles, was sie von Laprea möglicherweise hören wollte, hatte sich mit den
Fragen der Staatsanwältin schon erledigt.
Anna versuchte, die Verhandlung noch zu retten, aber ihre Bemühungen
waren zwecklos. Lapreas Aussage hatte jede Aussicht auf eine Verurteilung
zunichte gemacht. Anna rief Officer Green in den Zeugenstand, aber er konnte
nicht sagen, ob Laprea ein Messer gezogen hatte oder nicht. Obwohl er aussagte,
dass sie ihm an dem Tag, als sie verletzt wurde, eine andere Geschichte erzählt
hatte, hatte er nicht persönlich gesehen, was passiert war.
Weil sie keine weiteren Zeugen hatte, schloss Anna ihre Beweisführung
ab. Doch bevor Nick mit seiner beginnen konnte, unterbrach die Richterin. Die
Verteidigung brauche keine Zeugen aufzurufen, sagte sie. Die Anklage habe ihrer
Beweisführungspflicht nicht nachkommen können. Es gebe keinen Grund dafür,
Laprea Johnsons Aussage in Zweifel zu ziehen. Und wenn man sie zugrunde legte,
dann geschah der Angriff in Selbstverteidigung, es gab keine Bedrohung, und der
Angeklagte hatte keinen Tatvorsatz, nicht die Absicht, die einstweilige
Anordnung zu verletzen, da er davon ausgehen konnte, dass sie aufgehoben worden
war.
Anna nickte niedergeschlagen. Diese Verfahrensweise war nicht
unüblich in einer Verhandlung, in der das Urteil vom Richter und nicht von der
Jury gesprochen wurde. Nachdem Richterin Spiegel die Beweismittel des Staates
angehört hatte, war sie â vernünftigerweise, das musste Anna ihr zugestehen â
zu dem Schluss gekommen, dass der Staat nicht würde gewinnen können. Drei
Verhandlungen standen heute noch an, deshalb würde sie diese nun abkürzen.
»Daher«, schloss die Richterin, »erkläre ich den Angeklagten der ihm
angelasteten Vergehen für nicht schuldig.« Die Richterin wandte sich an Anna.
»Miss Johnsons heutige Aussage halten Sie offensichtlich für nicht der Wahrheit
entsprechend, doch sie lässt mir keine andere Wahl. Gerichtsdiener, bitte geben
Sie dem Angeklagten seine persönlichen Dinge zurück und lassen Sie ihn sofort
frei.«
Anna spritzte sich kaltes Wasser auf ihren Hals und betrachtete
sich im Spiegel des Vorraums zu den Toiletten. Nimm dich zusammen, Curtis. Sie
wollte nicht heulen, aber sie brauchte einen Moment, um sich zu beruhigen. Sie
ging in die einzige Kabine, die einen funktionierenden Riegel hatte, und setzte
sich auf den Toilettendeckel. Sie stellte die Ellbogen auf ihre Knie und legte
den Kopf in ihre Hände. Nun war sie so weit gekommen â mit all der Ausbildung,
all der Zeit, in der sie sich für eine Position vorbereitet hatte, in der sie
endlich helfen konnte â und war trotzdem machtlos.
Nach einiger Zeit öffnete sich die Tür zum Toilettenraum, und Anna
hörte das vertraute Klackern von hochhackigen Schuhen.
»Anna?«, rief Grace besorgt.
»Ich bin gleich da.« Anna versuchte locker zu klingen. Sie drückte
den Toilettenspüler und bemühte sich, alles ganz normal scheinen zu lassen. Sie
kam heraus und versuchte Grace anzulächeln. »Was für ein Mist, hm?«
»Totalschaden«, stimmte Grace mitfühlend zu. »Aber ich muss es
deinem Opfer lassen, die Aussage war schlau. Da muss sie jemand beraten haben.«
Sie drückte Annas Arm. »Bist du okay?«
»Ja, es geht mir gut.« Frauen waren tough in dieser Gegend, weshalb
Anna nie zugeben würde, dass sie hier war, weil sie es im Gerichtssaal nicht
mehr ausgehalten hatte. Sie ging zur Tür.
»Prima. Aber tu mir einen Gefallen und kümmere dich um deine Haare,
bevor wir da rausgehen.«
Anna blieb stehen und betrachtete sich im Spiegel. Kein Wunder, dass
sie Grace nichts vormachen konnte. Aus ihrem vorhin noch ordentlichen Pony
standen die Haare ab wie Stroh, und auf ihrer Stirn waren rote Stellen, wo sie
ihren Kopf in die Hände gelegt hatte. Sie zog ihr Haargummi ab und schüttelte
ihr Haar durch. Grace plauderte, während Anna ihren Pferdeschwanz neu band.
»Du weiÃt, dass es nicht dein Fehler war«, sagte Grace beruhigend.
»Achtzig Prozent der Opfer von häuslicher Gewalt sind bis zur Verhandlung
wieder mit ihren Freunden zusammen und widerrufen ihre Aussage.«
Anna nickte müde. Sie hätte damit rechnen
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