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Ewig sollst du schlafen

Ewig sollst du schlafen

Titel: Ewig sollst du schlafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Jackson
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ein Kaleidoskop von wirren Bildern. Die Berührung mit verwesendem Fleisch jagte ihr kalte Schauer über die Haut. Sie musste hier raus. Raus! Bestimmt würde jemand ihr Rufen hören.
    Ganz sicher würde jemand sie retten. »Du wirst es selbst tun müssen!«, sagte sie laut – oder war es die Person, die das Grab mit ihr teilte? O Gott, hatte sie sich unter ihr bewegt? Sie angefasst? Mit einem knochigen, verwesenden Finger an ihrem Rücken entlang gestrichen? Ihr Schrei glich dem schrillen Kreischen des Insassen einer Irrenanstalt, dem verzweifelten, psychotischen Heulen eines Geistesgestörten.
Denk nach, Simone … denk nach! Du darfst nicht verrückt werden.
So eklig die Luft auch war, noch lebte sie, und sie hatte das Gefühl
– oh, lieber Gott, bilde ich mir das nur ein? –
, dass sich ein Hauch von frischem Sauerstoff unter den sauren, üblen Verwesungsgeruch mischte. Wieder glaubte sie, unter sich eine Bewegung zu spüren – ein Wurm oder ein Käfer, der in den Sarg eingedrungen war, oder war es der Geist des Menschen, mit dem man sie hier eingesperrt hatte? Sie brüllte und schlug um sich, fluchte und weinte, Platzangst packte sie, und sie wusste, dass sie dabei war, den Verstand zu verlieren.
Halte durch, um Himmels willen, halte durch …Irgendjemand wird dich retten …
Wenn sie lebend hier rauskam, würde sie den Dreckskerl mit bloßen Händen lynchen.
Du kommst hier nicht raus, Simone …
Hatte da jemand gesprochen? Oder war es ihr panikgeschütteltes Bewusstsein?
Du wirst das gleiche Schicksal erleiden wie die anderen und langsam und erbärmlich sterben.
Da vernahm sie es, das Hageln und Poltern von Erde und Kies auf dem Sargdeckel. Sie war noch nicht begraben. Ihr blieb noch eine Chance.
    »Lass mich raus!« Wieder hämmerte sie. Dir Handgelenk schmerzte, doch das Grauen trieb sie an. »Bitte, bitte, lass mich raus! Ich sage kein Wort, o bitte, tu’s nicht!« Ein neuerliches Prasseln. Eine Schaufel voll Erde traf den Sarg. Aber wenn sie noch nicht unter der Erde war, könnte jemand anderes als dieses Schwein sie vielleicht hören. Sie schrie verzweifelt, trat, schlug, kratzte, flehte. »Hilfe! O Gott, helft mir doch!« Aber noch immer regnete Erde auf den Deckel nieder, und der Hauch von frischer Luft wurde immer geringer. Er würde sie langsam sterben lassen. Es gab kein Entrinnen.
    Die Dunkelheit schien noch dichter zu werden. Die Luft war so dünn, dass ihre Lungen brannten. Der Gestank wurde unerträglich, und erneut hatte Simone den Eindruck, dass sich die Leiche unter ihr bewegte … sie an allen möglichen Körperstellen berührte. Das ist unmöglich, sagte sie sich in einem flüchtigen klaren Moment, doch ihr gesunder Menschenverstand flammte nur kurz auf. Eine Stimme in ihrem Kopf verhöhnte sie.
Du bist dem Tod geweiht, Simone. Genau wie die anderen.
    Während er das klaffende Loch im Boden mit Erde füllte, klangen ihre Rufe dumpf, wurde ihr flehen leiser. Doch der Überlebende lauschte Simone Everlys erbärmlichen Schreien in Stereo. Er vernahm durch den Ohrstöpsel in einem Ohr nicht nur ihre Laute direkt aus dem Sarginneren, sondern ganz deutlich auch jeden Atemzug, den sie tat. Er konnte nicht widerstehen. Wenngleich es sicherer gewesen wäre, rasch das Grab zuzuschaufeln und sich später das aufgezeichnete Leiden anzuhören, war die Verlockung, ihr Sterben live zu verfolgen, einfach zu übermächtig. Für gewöhnlich wachten seine Opfer erst auf, wenn er sich schon weit vom Tatort entfernt hatte, doch Simone Everly war widerstandsfähiger, als er angenommen hatte, und die Wirkung des Mittels, das er zu ihrer Ruhigstellung verwendet hatte, war frühzeitig abgeklungen.
    Was mir nur recht sein kann, dachte er, während er weiterackerte. Es war ein absolut sinnliches Erlebnis, sie in seiner Nähe zu wissen, in einem Sarg nur wenige Armlängen unter der Erde, zu hören, wie sie um ihre Befreiung bettelte. Oh, sie würde bitten und heulen und ihm sexuelle Gefälligkeiten anbieten, doch selbst der Gedanke, sie tatsächlich zu ficken, war nicht annähernd so aufregend wie das, was er im Moment empfand, kein Vergleich zu dem Adrenalinstoß angesichts ihres Flehens und Keuchens und Weinens. Ein leichter Nieselregen fiel und verbarg sein Tun hinter einem Schleier. Falls jemand über das verschlossene Friedhofstor steigen sollte, würde er ihn wohl kaum bemerken. Doch bislang raschelte nur das eine oder andere Tier im Gebüsch. Durch seine Nachtsichtbrille konnte er sie sehen:

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