Ewig sollst du schlafen
Treppenabsatz nicht auf. Erst als Nikki zu ihm hinaufstieg und ihn auf den Arm nahm, stellte er sein Lärmen ein und wedelte mit dem Schwanz. Abgesehen von dem Hund rührte sich nichts in Simones Haus. Die meisten Zimmer waren so gepflegt, dass sich Staubsaugerspuren über den cremefarbenen Teppich zogen, und auf den Möbeln, die alt aussahen, aber augenscheinlich neu waren, lag kein Körnchen Staub. Alles war farblich aufeinander abgestimmt und wirkte sehr teuer. Außer Nikkis panischen, atemlosen Nachrichten hatte der Anrufbeantworter nichts aufgezeichnet. Auch der Speicher war leer. Als Morrisette die letzte angewählte Nummer aufrief, erschien Nikkis Handynummer. Doch die Anrufliste enthielt weitere Nummern, die sich Morrisette rasch notierte. »Sind Ihnen irgendwelche von diesen Nummern bekannt?«, fragte sie Nikki, die noch immer den Hund auf dem Arm hielt. Mikado wedelte erneut mit dem Schwanz und leckte begeistert ihr Gesicht.
»Nein, aber Simone und ich haben auch nicht denselben Freundeskreis.«
»Warum nicht?«
»Das war schon immer so.«
»Sie sind schon lange befreundet?«
»Ja. Sie war mit meinem Bruder zusammen. Die beiden wollten heiraten … So war es zumindest geplant, bevor er Schluss mit ihr machte. Das war kurz vor seinem Tod.«
»Wie haben sich die beiden kennen gelernt?«
»Durch mich.«
»Sie sind zusammen zur Schule gegangen?«
»Nein … ich habe sie beim Sport kennen gelernt … Beim Jazztanz. Das heißt, ich habe etwas nachgeholfen. Es war während des Chevalier-Prozesses, und ich hatte gehört, dass sie eine von den Geschworenen war. Ich wollte irgendwie an sie herankommen, verstehen Sie, wegen einer Story, aber daraus wurde nichts. In dem Fall habe ich Mist gebaut.« Sie streichelte Mikados Rücken, und etwas von der alten Beschämung erwachte wieder zum Leben. »Wie auch immer, wir haben uns auf Anhieb verstanden.«
»Während des Chevalier-Prozesses also«, wiederholte Reed ernst. »Ja.«
»Sie war Geschworene?«
Nikki nickte und bemerkte seinen veränderten Gesichtsausdruck.
»Kennst du die Namen der anderen Geschworenen?«
»Nein, aber …« Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus. »O Gott…«
»Können wir eine Liste der Geschworenen besorgen?«, fragte Reed seine Kollegin. »Augenblick mal. Nur weil diese Frau vermutlich verschwunden ist, müssen wir doch nicht gleich davon ausgehen, dass LeRoy Chevalier etwas damit zu tun hat.«
»Aber er ist seit kurzem auf freiem Fuß, nicht wahr? Hast du was von seinem Bewährungshelfer gehört?«
»Ja, Chevalier hat sich letzte Woche bei ihm gemeldet.«
»Wir müssen mit ihm sprechen. Uns vergewissern, dass LeRoy ein braver Junge war. Und wir müssen herausfinden, wer bei seinem Prozess die übrigen Geschworenen waren.«
»Wie steht’s mit Barbara Jean Marx? Hat sie mal so etwas erwähnt?«
»Mir gegenüber nicht«, sagte Reed, »aber unsere Beziehung war ja nur kurz. Wir haben nicht unbedingt über Dinge gesprochen, die lange zurückliegen.« Er zückte sein Handy und seinen Notizblock, tippte rasch eine Nummer ein und wartete ein paar Sekunden lang, bis sich am anderen Ende jemand meldete. »Mrs. Massey, hier spricht Detective Reed, Kriminalpolizei Savannah … Ja, ich war neulich bei Ihnen … Mir geht’s gut, danke. Ich benötige noch ein paar Informationen über Ihren Mann. Können Sie mir sagen, ob er mal als Geschworener ausgewählt wurde? Der Fall, um den es mir geht, ist der Prozess gegen LeRoy Chevalier. Er ist für den Mord an seiner Freundin und zwei ihrer Kinder verurteilt worden.« Nikki wartete mit wild klopfendem Herzen. Sie hatte damals nicht gewusst, wie die übrigen Geschworenen bei diesem Prozess hießen. Der Richter hatte das Fotografieren im Gerichtssaal untersagt, sodass sie auf diesem Wege auch nichts herausbekommen konnte. Langsam setzte sie den Hund zurück auf den Boden.
»Danke, Mrs. Massey …Ja, ja, natürlich sage ich Ihnen Bescheid. Auf Wiederhören.« Er beendete das Gespräch und sah Morrisette an. »Bingo.«
»Scheiße. Wir müssen Chevalier finden. Ich rufe Verstärkung. Du bringst sie nach Hause oder irgendwohin, wo sie sicher ist.« Morrisette deutete mit dem Kinn auf Nikki. »Nein. Ich komme mit.«
»Im Grunde dürfte nicht einmal Reed mitkommen«, widersprach Morrisette und kramte ihr Handy hervor. »Ich werde Ihnen nicht im Weg stehen.« Morrisette ging regelrecht auf sie los. »Hören Sie, Gillette, es geht hier nicht um Ihre große Chance, okay? Ich weiß nicht, was
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