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Ewige Schreie

Ewige Schreie

Titel: Ewige Schreie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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vor.
    Diesmal überraschte sie mich, denn ihre Finger fanden zielsicher den Griff des Silberdolchs, der in meinem Gürtel steckte. Mit einem heftigen Ruck riß sie die Waffe aus der weichen Lederscheide. Leider bemerkte ich zu spät, was sie vorhatte. Vielleicht fehlte mir auch der Mut, gegen sie hart vorzugehen, auf jeden Fall gelang es mir nicht, sie zu stoppen.
    Meine Hand griff leider ins Leere, eine andere Reaktion war nicht möglich. Helen entwischte mir, war mit einem Drehschritt vor den beiden Grabsteinen und ließ sich auf die Knie fallen.
    Mit diesem Fall fuhr auch ihr Arm nach unten.
    »Da!« schrie sie. »Da, du verdammte Fratze. Da und da!« Während sie die Worte brüllte, stieß sie mit dem Silberdolch zu. Und sie hämmerte die Spitze gegen den flach liegenden Grabstein, wobei ich gräßliche Angst davor hatte, daß der Dolch durch den Druck abbrechen würde. Das geschah nicht.
    Kaum hatte die Spitze den Grabstein berührt, als dieser seine Beschaffenheit änderte. Das harte Material verschwand, es schmolz förmlich weg, und es wurde daraus eine weiche, nachgiebige Masse, in die mein geweihter Silberdolche mühelos eindrang. Das bekam ich noch mit, als ich neben Helen stand. Fast bis zum Griff war der Dolch verschwunden, und er steckte genau zwischen den Augen.
    »So!« keuchte Helen. »So, das hast du davon.« Sie setzte noch mehr Kraft ein und drückte den Dolch tiefer.
    Der Schrei verstummte. Das geschah von einem Augenblick zum anderen, er mündete auch nicht in einem Röcheln, sondern war einfach weg. Nur noch der Mund des auf dem linken Grabstein zu sehenden Gesichts war weit geöffnet. Helen schluchzte auf. Ich hatte sie zuerst zurückziehen wollen, ließ es dann bleiben, denn vielleicht hatte Helen diese Aktion gebraucht, um so mit all dem Schrecken und Grauen fertig zu werden, das sie gepackt hielt.
    Hätte ich sie mal weggezogen! Plötzlich reagierte die schwarzmagische Seite.
    Als Helen den Dolch schließlich aus der Masse herausriß, da hinterließ sie nicht nur eine tiefe Wunde in der Stirn, sie füllte sich auch mit Blut, das einen Herzschlag später fontänenartig in die Höhe schoß. Sehr schnell und wuchtig. Helen gelang es nicht mehr, ihren Kopf rechtzeitig genug zur Seite zu nehmen. Sie wurde von der Blutfontäne voll getroffen, die sich als makabres Muster auf ihrem Gesicht verteilte. Ich riß sie zurück.
    Helen schrie, befreite sich aus meinem Griff, blieb auf dem Boden knien und schlug ihre Hände gegen das Gesicht, wobei sie das aus der Erde geschossene Blut abwischen wollte. Sie verteilte es nur noch mehr, und dicke, rote Schlieren blieben zurück.
    Ich nahm mein Taschentuch. Sie riß es mir aus den Fingern, während ich ihr den Dolch aus der Faust drehte. Als sich Helen reinigte, schaute ich mir den Grabstein an.
    Er sah aus wie immer.
    Grau der Stein, überwachsen mit einer Moosschicht, völlig normal, so wie er auf jedem Friedhof zu sehen ist. Aus der Tiefe des Grabs vernahm ich ein letztes Geräusch.
    Es war ein schweres Seufzen und Schluchzen, ein Röcheln, wie der letzte Atemzug eines Sterbenden. Danach war es auf dieser Seite still. Vorbei…
    Den Dolch hatte ich wieder eingesteckt. Den nächsten Toten wollte ich mit meinem Kreuz erlösen.
    Kaum hatte es das Gesicht berührt, als es eine andere Farbe annahm. Die Haut verschwand, alles wurde dunkel, und ich glaubte, dahinter helle Knochen zu erkennen. Allerdings hatten sich die Perspektiven verschoben, so daß das Bild schwammig wirkte, und der Schädel war auch zu schnell verschwunden.
    Ruhe…
    Wenigstens in unserer unmittelbaren Nähe, während die anderen Toten weiterhin schrien.
    Eins hatten mir die letzten Sekunden gezeigt. Ich wußte jetzt, wie ich die Geschöpfe erledigen konnte. Und wir würden die Reihe der Grabsteine abgehen müssen, um jeden Toten zu erlösen.
    Ich wandte mich an Helen. Blasse Blutstreifen liefen durch ihr Gesicht. Das schmutzige Taschentuch hielt sie in der rechten Faust, der Blick ging ins Leere.
    Ich sprach sie an: »Kommen Sie, Helen, wir können hier nicht länger bleiben!«
    Sie hatte mich nicht gehört und sprach nur flüsternd von ihrem Vater, den sie getötet hatte.
    »Nein, es war kein Mord!« beruhigte ich sie. »Niemand wird Sie deshalb anklagen.«
    Sie schaute zu mir hoch. In ihren Augen brannte ein verzehrendes Feuer. »Aber es war mein Vater…«
    »Trotzdem.« Ich lächelte beruhigend und reichte ihr die Hand. Wie eine Puppe ließ sie sich von mir in die Höhe ziehen und warf

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