Ewige Treue
Morgen hakte er den Tag im Kalender ab und ging dann duschen. Als er aus der Wanne stieg, hörte er, wie die Zeitung gegen seine Haustür geschleudert wurde. Weil er keine Lust hatte, sich schon anzuziehen, schlang er ein Handtuch um die Taille. Er holte die Zeitung herein, ging in die Küche und setzte Kaffee auf.
Während er darauf wartete, dass der Kaffee durchgelaufen war, überflog er die Titelseite und trank dabei Orangensaft aus dem Karton. Er drehte die Zeitung um, las die Schlagzeilen auf der unteren Hälfte und zog, nachdem er festgestellt hatte, dass sie dieselben Weltkrisen wie am Vortag beklagten, den Sportteil heraus.
Bei der Schlagzeile stockte sein Herz. Das Blut schoss so abrupt in seinen Kopf, dass ihm kurz schwindlig wurde. »Was soll denn der Scheiß?«
BURKETT ZU BUCHMACHERMORD VERHÖRT stand dort in fetten Lettern zu lesen. EXCOWBOY VOR DEM FALL?
EHEMALIGER TRAINER DISTANZIERT SICH VON GEFALLENEM STAR
Plötzlich ging ihm ein Licht auf, und er blickte aufs Datum. Nicht das von dieser Morgenausgabe. Der Sportteil war fünf Jahre alt, obwohl er sorgsam aufbewahrt worden war, konnte er jetzt erkennen, dass das Papier nicht zu dem der übrigen Zeitung passte. Es war über die Jahre vergilbt.
Rodarte.
Vor Eile kippte er den Küchenstuhl um. Sekunden später war er aus der Küche, durch den Wohnbereich gerannt und hatte die Haustür aufgerissen. Er stürzte in seinen winzigen Vorgarten und suchte die Straße ab. Eigentlich rechnete er nicht damit, die grüne Limousine zu sehen, und er sah sie auch nicht. Rodarte hatte sich ausreichend Vorsprung verschafft.
»Hurensohn!« Griff packte das Handtuch, das von seiner Taille zu rutschen drohte, stürmte ins Haus zurück und knallte die Tür zu. Rodarte war fast zwei Monate abgetaucht gewesen. Und jetzt das, gerade wo Griff zu glauben – hoffen – begonnen hatte, dass der Bastard aufgegeben haben und verschwunden sein könnte.
Wie gerissen, den alten Sportteil zwischen die heutige Zeitung zu legen, wo Griff ihn garantiert finden würde. Rodarte rieb ihm wieder einmal unter die Nase, wie tief er sich vor fünf Jahren in die Scheiße geritten hatte.
Als er sich so weit gefangen hatte, dass er das Kleingedruckte lesen konnte, stellte er den Stuhl wieder auf und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein, setzte sich dann an den Küchentisch und begann zu lesen. Jedes Wort traf ihn wie eine schmerzhafte Ohrfeige, denn jedes einzelne Wort war wahr.
Seit dem Wettskandal um Pete Rose und José Cansecos Dopinggeständnis war kein Profisportler so tief gestürzt wie der Rekorde haltende Allstar-Quarterback Griff Burkett. Alle Medien hatten ausgiebig und intensiv darüber berichtet. Der Skandal hatte sogar international Schlagzeilen gemacht. Der Sportkanal hatte wochenlang sein Programm damit gefüllt.
Trotzdem war es bezeichnend, dass Rodarte ausgerechnet diese Ausgabe der Dallas Morning News ausgesucht hatte, weil in diesen Artikeln sein langer, unausweichlicher Fall noch einmal chronologisch zusammengefasst wurde.
Anfangs hatte er nur kleine Summen gesetzt, doch die Wettleidenschaft hatte sich ausgebreitet wie unausrottbares Unkraut, das alles überwucherte, bis sie ihn schließlich mehr gefesselt hatte als seine eigenen Spiele am Sonntag. Seinen Einsatz zu vervielfachen war spannender, als Einsatz auf dem Spielfeld zu zeigen.
Die Leidenschaft hatte sich zu einer Sucht entwickelt. Er hätte klug genug sein müssen, das Menetekel zu erkennen, bevor die Sache außer Kontrolle geraten war. Vielleicht hatte er sie erkannt. Vielleicht hatte er sie einfach ignoriert.
Er verfing sich in einer gefährlichen und gleichzeitig euphorisierenden Abwärtsspirale. Wenn er gewonnen hatte, erhöhte er beim nächsten Spiel den Einsatz, um noch mehr zu gewinnen. Wenn er verloren hatte, erhöhte er den Einsatz, um die Verluste wettzumachen. Die Spirale wuchs sich zu einem Strudel aus, der ihn schließlich verschlang.
Bill Bandy sah eher aus wie ein Steuerberater denn wie ein typischer Buchmacher. Er war klein und hager und hatte an dem Tag, an dem er starb, wahrscheinlich nicht mehr gewogen als am letzten Tag auf der Highschool. Er hatte lichtes, braunes Haar, ein kleines Gesicht mit spitzem Kinn und eine Adlernase. Seine schmalen Nasenlöcher und hellen, blauen Augen lagen in ständigem Krieg mit den verschiedensten Allergenen. Seine Hände waren weich und weiß wie die einer Frau, und man hatte unwillkürlich das Gefühl, dass sie immer leicht verschwitzt sein
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