Ewige Versuchung - 5
neben der zarten kleinen Frau vor. Vielmehr fühlte sie sich stark und wendig, bereit für einen Kampf.
Was ihr hätte verraten müssen, dass sie in eine Falle tappte. Doch leider erkannte sie es erst, als sie mit Kimberly in ein großes Büro trat und Rupert vor dem Schreibtisch stehen sah.
Vor Schreck erstarrte sie. Im ersten Moment überkam sie beim Anblick ihres früheren Mentors eine unbändige Freude, doch dann entsann sie sich der Geschichten, welche die Vampire erzählt hatten, dass er beinahe Violet Carr umgebracht hatte, und sogleich zerrann die Freude wie Wasser auf einem steilen Abhang.
Mit ausgebreiteten Armen kam er auf sie zu. »Vivian! Mein Liebling!«
Vivian trat beiseite, als er sie umarmen wollte, und schaute kurz zu Kimberly, die unweit von ihr stand und die Hände rang. »Was zur Hölle ist hier los?«, fragte sie.
Rupert machte noch einen Schritt auf sie zu, und als sie abermals zurückwich, nahm er seine Arme herunter. Ein Ausdruck aufrichtiger Enttäuschung legte sich auf seine hübschen Züge. »Ich dachte, du wärst glücklich, mich zu sehen.«
»Wie könnte ich?«, entgegnete sie mit einem ungläubigen Lachen. »Nach allem, was du getan hast?«
Schlagartig wurde sein Gesichtsausdruck hart. »Es ist also wahr: Sie haben dich vergiftet und gegen mich eingenommen!«
Vivian drehte sich zu Kimberly um. Mehrere Männer waren ihnen in das Zimmer gefolgt und flankierten sie. Ruperts Beschützer, ging es ihr durch den Kopf. Und ihre Wächter.
»Was hast du getan?«, fragte sie Kimberly. »Wie konntest du Temple verraten?«
Kimberly sah sie flehentlich an. »Vivian, bitte, versuche, mich zu verstehen! Lilith ist wichtiger als du oder Temple. Sie bedeutet mir mehr als mein eigenes Leben.«
Für einen kurzen Moment war Vivian sprachlos. »Du gehörst dazu! Du machst bei alldem schon länger mit!«
»Von Anfang an«, antwortete Rupert frohgemut, als Kimberly stumm blieb. »Meine teure Kimberly war mir eine große Hilfe bei der Recherche und der Planung.«
»Ja, ich wette, dass sie das war«, gab Vivian verbittert zurück, ihr Blick immer noch auf der Frau verharrend, die sie für eine Freundin gehalten hatte. »Du hast uns alle verraten.«
»Nicht alle von uns«, korrigierte Rupert. »Mich hat sie nicht verraten – noch nicht zumindest.«
Kimberly sah zu ihm. »Ich würde dich niemals verraten, Rupert! Das weißt du.« Sie zeigte auf Vivian. »Nicht so wie sie.«
O nein! Gott allein wusste, was Kimberly ihm alles erzählt hatte und wie viel sie von den Plänen der Vampire zufällig mitbekommen oder von Leuten erfahren hatte, die ihr vertrauten.
Süßlich lächelnd, bewegte Rupert sich auf Kimberly zu. »Ich weiß, meine Liebe. Ich weiß, dass du mich niemals verraten wirst.« Und dann holte er mit der Hand aus, durchpeitschte die Luft vor der anderen Frau, deren Miene geradezu komisch ungläubig wirkte.
Als Blut über Kimberlys Kleid rann, begriff Vivian, dass Rupert nicht bloß durch die Luft geschlagen hatte. Er hatte Kimberly mit einer langen, dünnen, übel aussehenden Klinge die Kehle aufgeschlitzt. Blut tropfte von der Klinge auf den Teppich, während Kimberly befremdlich langsam zu Boden sackte und ihr Leben aushauchte.
Vivian konnte nicht sprechen. Nicht einmal ein ängstlicher Aufschrei oder ein trauriges Schluchzen wollte aus ihrer Kehle entweichen. Ebenso wenig konnte sie klar denken, geschweige denn sich rühren. Vor Entsetzen schienen ihre Füße am Boden zu kleben, und ihre Knie schlotterten. Doch selbst wenn sie sich hätte bewegen können, wäre sie nicht imstande gewesen, noch etwas für Kimberly zu tun. Für die Frau kam jede Hilfe zu spät.
Sie hätte sich gewünscht, dass Kimberly für ihr Handeln zur Rechenschaft gezogen würde, aber so? Nein – nicht, indem sie verblutete, zu Füßen eines Mannes, der nicht einmal den Anstand besaß, einen Hauch von Bedauern zu zeigen.
Eines Mannes, der nun auf Vivian zukam, ohne die Frau am Boden zu beachten, die eine Hand nach ihm ausstreckte und gurgelnd
nach Luft rang.
»Also, meine Liebe«, setzte Rupert an, der den blutigen Dolch mit derselben Lässigkeit hielt wie ein Maler seinen Pinsel und Vivian strahlend anlächelte. »Was machen wir bloß mit dir?«
Kapitel 18
V ivian war fort. Schon wieder. »Ist das eine Angewohnheit von ihr, einfach zu verschwinden?«, fragte Saint, der eine Bronzefigur auf dem Kaminsims bewunderte.
»Nein«, antwortete Temple. Trotz seiner Sorge behielt er den alten Freund im Auge.
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