Ewige Versuchung - 5
zwischen den beiden stellte auf jeden Fall eine Ablenkung dar, die sie derzeit nicht gebrauchen konnten. Ein weiteres Problem war, dass Francis Molyneux eindeutig nicht mehr lange zu leben hatte, ganz gleich, wie sehr Chapel sich wünschte, es wäre anders. Nicht zu vergessen Reign, dessen Gedanken eher seiner Frau galten als der Gefahr, die ihnen allen drohte.
Und nicht zuletzt machte er sich Sorgen, weil er im Moment nichts anderes wollte, als zu Vivian ins Bett steigen und fühlen, wie sie ihre wundervollen Beine um ihn schlang. Er wollte den Duft ihres Haars einatmen und in ihren Armen einen Hauch von Frieden finden. Wahrscheinlich könnte sie ihm das Herz herausreißen, und es würde ihn nicht kümmern, so berauscht wäre er von ihrem Duft und ihrer Berührung.
Die anderen verabschiedeten sich ebenfalls. Bevor er ging, kam Bishop zu ihm. »Vergib mir!«, bat er.
Temple lächelte und nahm die etwas kleinere Hand des anderen in seine. »Du solltest wissen, dass du mich darum nicht bitten musst.«
Nachdem alle anderen fort waren, blieben Temple und Marcus allein im Salon zurück. Der Mensch beäugte Temple ohne einen Anflug von Angst, jedoch mit reichlich Neugier und, seltsamerweise, Respekt. Womit hatte er sich diesen verdient?
»Möchten Sie nicht ins Bett gehen, Mr. Grey?«, fragte Temple mit einem angedeuteten Lächeln. »Ich dachte, Sie wären erschöpft.«
»Marcus«, entgegnete der andere prompt. »Und ich bin erschöpft, selbstredend. Haben Sie sie wirklich getötet?«
Temple begriff sehr wohl, wen der junge Mann meinte. Und er war auch nicht verstimmt, andererseits hatte er nicht das geringste Bedürfnis, sich eingehender zu diesem Thema zu äußern. Aber zumindest konnte er ehrlich sein. »Ja, das habe ich.«
»Warum?«
»Weil sie ein Monstrum war, und weil sie es selbst verschuldete.«
Marcus nickte verständig, was ziemlich absurd war, denn er konnte es gar nicht verstehen. Immerhin schien er zufrieden, denn er fragte nicht weiter.
»Ich bin zwar kein Vampir«, tat Marcus stattdessen kund, »aber ich bin nicht krank und ich bin nicht verliebt; folglich will und kann ich mich bemühen, alles zu tun, was Sie von mir wünschen.«
Zwar war dies nicht unbedingt ein überwältigender Treueschwur, doch seit Jahrhunderten hatte niemand Temple seine Gefolgschaft angeboten, und selbst die früheren blumigen Reden bargen nicht halb so viel Integrität wie Marcus Greys Worte.
»Ich danke dir.« Keine überschwengliche Formulierung, doch sehr ernst gemeint.
Marcus nickte kurz. »Dann gute Nacht.«
»Guten Morgen, Marcus.«
Der junge Mann ging, und die Stille, die sich nun über Temple legte, hatte etwas Erdrückendes. Ja, er hörte die Schritte seiner Gefährten in den Hausfluren, als sie sich in ihre Zimmer begaben, vernahm ihr leises Flüstern, aber er hatte keinen Anteil daran. Diese Worte waren nicht für ihn bestimmt.
War es Schwäche, dass er sich furchtbar einsam fühlte? Viele Jahrzehnte hatte er allein verbracht, von dem einzigen Gedanken angetrieben, den Blutgral zu schützen. Jetzt jedoch dachte er, was er eigentlich geschützt hatte, war vielleicht eher er selbst gewesen. Er hatte sich von anderen ferngehalten, weil das Zusammensein ihm verdeutlichte, wie einsam er war.
Beziehungen hatten Konsequenzen. Wenn ihm die letzten zwei Stunden mit seinen Freunden eines aufs Neue anschaulich gemacht
hatten, dann das. Liebe machte einen Mann verwundbar. Es war besser, leer und allein zu sein als verwundbar und abgelenkt.
Leise ging er in seine Räume hinunter und sah auf das Bett. Die Laken dufteten noch nach Vivian. Sicher würde er mit dem Gesicht in ihr Kissen vergraben schlafen, wie er es immer tat, seit er sie in einem anderen Zimmer untergebracht hatte. Er sollte das Bett frisch beziehen lassen, nur konnte er sich dazu nicht durchringen – noch nicht.
Er löschte die Lampen und zog sich im Dunkeln aus. Marcus Greys Worte fielen ihm wieder ein, als er ins Bett stieg, auf dass Vivians Duft den hohlen Schmerz in ihm linderte.
Es war gut, dass Grey bei klarem Kopf war, denn Temple war es nicht. In dem Augenblick, in dem er die Augen schloss, sah er Vivian vor sich. Fast konnte er ihren Atem auf seiner Wange spüren. Wie bei Molyneux und Olivia musste diese Obsession eine Ursache haben – einer Krankheit oder sonstigen Beeinträchtigung entspringen. Vielleicht litt er an einer Geisteskrankheit, gegen die er ein Mittel suchen musste. Eines jedenfalls war sicher:
Es war verdammt noch mal
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