Ewige Versuchung - 5
Bisher hatte sie noch nichts gesehen, was diese Leute als jene Monstren auswies, für die Vivian sie stets gehalten hatte.
Derjenige, der wie ein Falke dreinblickte – Bishop –, äußerte sich als Nächster. Er fixierte Vivian mit seinen Augen, als er sprach, und sie musste ihre gesamte Selbstbeherrschung aufbringen, um diesem scharfen Blick standzuhalten. Obgleich er sie keineswegs hasserfüllt anschaute, war sein Misstrauen unverkennbar.
»Ich reiste zu Marika, um nach dem Bruder einer Freundin zu suchen, der verschwunden war«, erzählte er. »Gefunden habe ich ihn nie, aber es wird vermutet, dass der Orden auch andere Kreaturen entführte, nicht bloß Vampire.«
Es gab andere? Das hatte Vivian gar nicht gewusst, was sie ihm aber nicht gestand.
»Marika war vom Orden angesprochen worden. Sie boten ihr an, wenn sie mich gefangen nahm und an sie auslieferte, würden sie ihr im Gegenzug über Saint erzählen, was sie wissen wollte. Sie lastete ihm den Tod ihrer Mutter an.«
»Und wie konnte sie Sie gefangen nehmen?« Vivian wollte ihn nicht unterbrechen und den Vampir womöglich erzürnen, aber sie wusste, dass kein Mensch einem Vampir gewachsen war.
»Ich war ein Dhampyr«, erklärte Marika. »Saint hatte versucht, meine Mutter vor meiner Geburt umzuwandeln. Dadurch wurde ich zum Halbling.«
Vivian sah sie mit großen Augen an. »Ich wusste nicht, dass so etwas möglich ist.«
Daraufhin lächelte Marika matt und fuhr achselzuckend fort: »Ich schaffte es, Bishop eine Falle zu stellen und ihn in mein Lager zu bringen. Dort überzeugte er mich schließlich, dass der Orden mich nur benutzen wollte. Als ich mich weigerte, Bishop auszuliefern, bedrohten sie nicht bloß meinen Vater, sondern auch meinen Bruder. Und weil sie damit nichts erreichten, griffen sie mit einem Nosferatu an, der mein Blut vergiftete und mich um Haaresbreite zu einem von ihnen gemacht hätte.«
Vivian warf Temple einen Blick zu, der sie aufmerksam beobachtete. War das Mitleid in seinen Augen? Gewiss dachte auch er an ihr Gespräch über den Nosferatu, den sie gesehen hatte. Rupert und die anderen hatten ihn nicht getötet. Was hatten sie mit ihm gemacht? Ließen sie das Monstrum frei? Bei diesem Gedanken fröstelte sie, dann schalt sie sich sogleich, weil sie so etwas zu denken wagte. Rupert war kein Mörder.
Oder doch?
Als Nächstes erzählte Saint die schauerliche Geschichte von einem Mörder, der die Frauen im Maison Rouge in London in Jack-the-Ripper-Manier ermordet und ihnen die Schöße herausgeschnitten hatte. »Ich wurde entführt, indem sie mich in einem Silbernetz fingen, aber dank Ivy konnte ich entkommen.« Er legte seine Hand auf den Schenkel seiner Frau. »Der Orden war allerdings noch nicht mit uns fertig. Einer von ihnen entführte Ivy und versuchte, sie für ein perverses Ritual zu benutzen, bei dem auch die Trophäen, die er seinen Opfern entnommen hatte, eingesetzt werden sollten. Mir gelang es, das Ritual zu verhindern, und der Mörder wurde von der Polizei verhaftet.«
»Was ist mit seinen Trophäen?«, wollte Temple wissen.
Saint bedachte ihn mit einem Blick, der mehr besagte, als Vivian jemals zu entschlüsseln hoffen konnte. »Sie sind verschwunden. Kurz nach seiner Verhaftung wurde der Mörder tot in seiner Zelle aufgefunden. Ich hege nicht den geringsten Zweifel, dass er von einem seiner Ordensbrüder umgebracht wurde«, brummte der finstere Vampir. »Nach wie vor kann ich nicht einmal mutmaßen, warum er diese Frauen umbrachte, aber ich denke, es war kein Zufall, dass es fünf Opfer gab und wir fünf sind.«
Vivian wurde schwindlig. Ihr Magen drehte sich bei der Vorstellung um, dass fünf Frauen so brutal ermordet und verstümmelt worden waren. Unmöglich konnte Rupert mit solchen Greueln zu tun haben. Niemals! Allein bei dem Gedanken wurde ihr speiübel.
Reign – nun erinnerte sie sich wieder an seinen Namen – erzählte seine Geschichte als Nächster, und Vivians Übelkeit ließ ein wenig nach.
»Der Orden ließ Olivia glauben, sie hätten ihren Neffen entführt, und erpresste sie, mich ihnen im Austausch gegen den Jungen auszuliefern. Als Olivia sich nicht an die Vereinbarung hielt, versuchten sie, sie zu töten und ihren Neffen gleichfalls.«
Vivian presste sich eine Hand auf den Mund. Mehr ertrug sie nicht. Sie konnte es einfach nicht. Sie hatte erwartet, dass es schwierig würde, sich anzuhören, was sie zu sagen hatten, aber sie hatte nicht gedacht, dass es so entsetzlich würde. Rupert
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