Ewiger Schlaf: Thriller
Er nahm den Anruf entgegen und hörte Lilys besorgte Stimme.
»Ich bin aufgewacht, und du warst fort«, sagte sie schläfrig. »Bist du immer noch im Wal Mart?«
»Ich war nicht im Wal Mart.«
Stille. »Wo bist du?«
»Ich bin spazieren gefahren. Ich konnte nicht schlafen.«
»Was ist denn los?«
Aus der Zeitung starrte ihn Mallory mit schauriger Lebendigkeit an. »Ich weiß es nicht. Die Fehlbohrung ... die Umweltuntersuchung.«
»Komm nach Hause, ich mache uns Kaffee. Es ist fünf Uhr morgens, John.«
»Ist gut.«
Er schaltete das Handy aus, blieb aber sitzen. Sogar auf ein millimeterdünnes Blatt Papier reduziert, schien Mallory mehr Leben zu besitzen als die Menschen, die er jeden Tag in der Stadt sah. Er schüttelte den Kopf. Wenn die Menschen im Publikum an jenem Abend gewusst hätten, was sich hinter diesen hypnotisierenden grünen Augen abspielte, hätten sie schockiert den Saal verlassen. Aber die Leute hatten nichts geahnt, natürlich nicht. Niemand hatte etwas gewusst, außer John Waters. Er faltete die Zeitung zusammen, um sie mitzunehmen, steckte sie dann aber wieder zurück und nahm gleich die ganze Mappe mit hinaus zum Land Cruiser. Lily fuhr nie seinen Wagen. Er konnte die Mappe unbesorgt unter dem Sitz lassen. Und wenn ihn wieder das verzweifelte Gefühl überkam, sich nicht mehr an Mallorys Gesicht erinnern zu können, brauchte er die Mappe nur hervorzuholen und sich ihr Bild anzuschauen.
Waters war bereits den größten Teil des Nachhausewegs gefahren, als er im Innenspiegel ein Blaulicht sah. Obwohl er an Eves Vergewaltigungs-Geschichte denken musste, fuhr er rechts ran, ließ das Fenster herunter und wartete. Er hörte schwere Schritte; dann sagte ein Mann: »John? Du bist ziemlich früh unterwegs. Oder sollten wir sagen, ziemlich spät?«
Der Sprecher war Detective Tom Jackson, jener Mann, der Danny Buckles am Tag zuvor verhaftet hatte.
»Hallo, Tom. Bin ich zu schnell gefahren?«
Jackson blieb vor dem Seitenfenster stehen und schaute Waters an. »Nein. Ich hab nur dein Auto erkannt und wollte sehen, ob es dir gut geht. Diese Geschichte an der Schule gestern ... Ich weiß, dass so was nicht leicht zu verkraften ist.«
»Ja, ich konnte nicht schlafen.«
Jackson lächelte ihn mitfühlend an. »Geht es deinem kleinen Mädchen gut?«
»Ja. Sie steckt es viel besser weg, als ich erwartet hätte.«
»Gut. Weißt du, es sieht so aus, als hätte der Kerl die Mädchen gar nicht angefasst. Er guckte nur und entblößte sich ... so was.«
»Gott sei Dank.«
»Ja.« Der massige Detective mit dem Cowboy-Schnurrbart zog die Nase hoch und schaute die Straße entlang. »Na dann«, sagte er und richtete den Blick wieder auf Waters. »Ich wünsch dir einen schönen Tag, John. Versuch noch ein bisschen zu schlafen. Du siehst aus, als könntest du es gebrauchen.«
»Mach ich. Danke.«
»Kein Problem.«
Waters fuhr langsam davon und fragte sich, wie lange Jackson ihm schon gefolgt war.
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7
I ch habe den vorläufigen Bericht über Eve Sumner«, sagte Cole und stellte die Tasse mit seinem Morgenkaffee ab. »Willst du ihn hören?«
Waters stellte seine Aktentasche auf den Boden, setzte sich in einen Ledersessel und ließ den Blick durch Coles Ein-Zimmer-Schrein zu den Ole Miss Rebels wandern.
»Du siehst beschissen aus«, sagte Cole.
»Ich habe nicht viel geschlafen. Lass hören, was du hast.«
»Eve wurde 1970 als Evie Ray Sumner in St. Joseph, Louisiana, geboren«, las Cole von einem Faxausdruck ab. »Wie passend für St. Joe, nicht wahr? Evie Ray ...«
Waters nickte. St. Joe war ein Landwirtschaftszentrum für Baumwolle und Sojabohnen, eine Stunde nördlich von Natchez.
»Mit fünfzehn wurde sie schwanger und ließ in Baton Rouge abtreiben.«
»Wie haben die das herausgefunden?«
Cole zuckte mit den Achseln. »Wahrscheinlich ein bisschen herumtelefoniert. Mit alten Freunden gesprochen. Für Geld, natürlich.«
Waters kam sich schäbig vor, weil er eine solche Skandalhascherei auch noch finanzierte. Aber er musste über Eve Bescheid wissen.
»Eve hat mit siebzehn ihren Abschluss an der St. Joe High gemacht. Mit Auszeichnung. Sie zog nach Los Angeles, heiratete einen Polizisten, wurde schwanger und verließ die Stadt sechs Monate später. Könnte sein, dass ihr Mann sie misshandelt hat. Sie kam zurück nach Louisiana, um das Kind zu bekommen, das dann aber ihre Mutter großzog. Evie schrieb sich im Hinds Junior College ein und verbrachte ihre Zeit damit, mit Jockeys auszugehen.
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