Ewiger Schlaf: Thriller
Er schüttelte den Kopf und drückte die Tür auf.
Heute lag Eve nicht ausgestreckt auf dem Bett oder versteckte sich im Dunkeln, wie sie es an manchen Abenden getan hatte, und einen Augenblick lang glaubte Waters, vor ihr angekommen zu sein. Dann fuhr ein Windstoß durch die Suite, und er blickte übers Bett auf die Balkontür und sah Eves Silhouette draußen, ihre unverwechselbaren Kurven umrahmt vom pinkfarbenen Leuchten der Straßenlaternen unter ihr. Sie lehnte am Geländer, den Rücken zu ihm. Sie war nackt; den Regen, der noch vor wenigen Augenblicken kalt auf seinem Gesicht gebrannt hatte, schien sie gar nicht zu spüren.
Er starrte sie an, bis sie über die Schulter zu ihm blickte; ihre Augen funkelten im Dunkeln. Der Regen und der Lichthof der Straßenlaternen schufen den Eindruck, als sei der Balkon gar nicht da, sodass Eve in der Luft schwebte. Er ging auf sie zu, doch sie hielt ihn mit erhobener Hand auf.
»Du hast mich angelogen«, sagte sie mit emotionsloser Stimme.
»Was?«
»Lily hat die Stadt gar nicht verlassen. Sie war mit dir zu Hause. Ich habe sie heute Morgen aus dem Haus kommen sehen.«
Waters schluckte und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Das war Mallory, wie sie leibte und lebte: Paranoia, Überwachung, Konfrontation. Es würde mit kalter Wut beginnen und dann zur unvermeidlichen Explosion eskalieren.
»Ich weiß, warum du gelogen hast«, sagte sie. »Aber du brauchst keine Angst zu haben.«
Ein Blitz erhellte zuckend das Zimmer und ließ ihren Körper im Augenblick erstarren, brannte ein schauerliches Bild in seine Netzhäute: Ihr durchnässtes Haar hing schlaff herab, Regenwasser spritzte auf ihren Bauch und ihre Brüste, und ihre Haut war beinahe schon blau vor Kälte. Dann erschütterte ein gigantischer Donnerschlag das Gebäude, und Eve schien mit ihm zu erzittern. Er sah Verwirrung in ihren Augen, als hätte sie einen Moment lang vergessen, wer und wo sie war.
»Ich habe keine Angst«, sagte er.
Eve blinzelte; dann verschränkte sie die Arme vor der Brust. »Mir ist kalt«, sagte sie mit klappernden Zähnen.
Waters nahm die Steppdecke vom Bett und ging zu ihr. Er legte ihr den Stoff um die Schultern und zog sie ins Zimmer, dann schloss er das Fenster. Seine Schuhe machten patschende Geräusche auf dem durchnässten Teppich.
Neben dem Bett schaltete er im Stehen die Lampe ein. Dunkle Schatten lagen unter Eves Augen, und ihre Wangen wirkten eingefallen. Vielleicht hatte sie seit Tagen weder gegessen noch geschlafen. Aber vor erst sechsunddreißig Stunden hatte sie noch wie das blühende Leben ausgesehen.
»Wie fühlst du dich?«, fragte er.
Sie antwortete nicht.
»Ich mache mir Sorgen um dich.«
Jetzt sah sie zu ihm hoch. »Wirklich? Was werden wir tun, Johnny?«
»Was meinst du?«
»Werden wir weiter wie Tiere im Dunkeln ficken?«
Er wich zurück, wie betäubt von der Bitterkeit in ihrer Stimme.
»Jeden Tag gehst du zurück zur süßen kleinen Lily, aber nachts kommst du wieder zu mir. Für dich ist alles wunderbar, oder nicht?«
»Nein.«
»Lüg mich nicht an! Du würdest für immer so weitermachen, wenn ich es zuließe. Ist das alles, was du willst?«
»Was soll ich denn tun? Soll ich meine Frau und meine Tochter verlassen?«
Sie wandte den Blick von ihm ab und starrte geradeaus. »Ja.«
Er schloss die Augen und versuchte, die Beherrschung zu wahren. Cole hatte Recht: Er hatte die Kontrolle verloren. Er hatte die Kontrolle verloren, und jetzt stellte Eve Ansprüche. Berechtigte Ansprüche, bei fairer Betrachtung.
»Das kannst du nicht, stimmt’s?«, sagte sie.
Er wollte ihr die Wahrheit sagen, fürchtete jedoch ihre Reaktion. Er wollte sie in den Arm nehmen, aber das wollte sie ganz offensichtlich nicht. Sie zitterte immer noch, trotz der Decke, und ihre Zähne hörten nicht auf zu klappern. Unter der Lampe auf dem Nachttisch stand ein Glas Rotwein. Er nahm es und führte es an ihren Mund, doch sie beachtete es gar nicht. Er trank es selber aus, dankbar für die Wärme in seinem Hals.
»Hör zu«, sagte er sanft. »Wir sollten ...«
»Ich möchte, dass du mich schneidest.«
» Was? Das kann ich nicht.«
»Du hast es schon einmal getan.«
Das stimmte. Einmal hatte er auf Mallorys Bitte hin beim Sex in ihren Arm geschnitten. Er hatte es in der Hoffnung getan, dass sie irgendwie der Quelle all des Schmerzes auf die Spur kommen würde, den sie mit ihren Selbstverstümmelungen zu lindern versuchte. Er hatte ein Messer benutzt, und sein Tun hatte eine
Weitere Kostenlose Bücher