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Ewigkeit

Ewigkeit

Titel: Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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Zuges im Tunnel verschwinden, als sie auch schon unterwegs war.
    Sie blieb dicht an der Wand, während sich ihr Mantel an den Röhren und elektrischen Leitungen verfing, die an der Seite des Tunnels verlegt waren. Sie hielt den Koffer so hoch, wie es ihre Kraft zuließ, und schleifte ihn hinter sich her. Sie sagte sich, dass sie vorher nie gestürzt war und die Strecke immer in der Zeit zurückgelegt hatte, die Aveling ihr vorgegeben hatte. Nichts hatte sich geändert, außer dass die Strafe für einen Ausrutscher nun ziemlich drastisch ausfallen würde. Sie durfte sich nicht den kleinsten Patzer erlauben. Ein Fehltritt und alles wäre vorbei.
    Wie lange war sie jetzt schon unterwegs?
    Ein Stück weiter hinter einer weiten Kurve im Tunnel konnte sie bereits das kalte Leuchten des Bahnhofs Cardinal Lemoine erkennen. Die Station schien immer noch sehr weit entfernt zu sein – so weit, dass sie die Strecke unmöglich in der Minute, die ihr vielleicht noch blieb, zurücklegen konnte. Auger geriet in Panik. Hatte sie an irgendeinem Punkt die falsche Richtung eingeschlagen? Lief sie womöglich immer tiefer in den Tunnel hinein, angelockt vom viel ferneren Licht der nächsten Station an der Linie? Die Panik schnürte ihr die Kehle zu und erweckte in ihr den widersinnigen Wunsch, umzukehren und in die entgegengesetzte Richtung zu laufen.
    Nein, ermahnte sie sich streng, lauf einfach weiter! Die vorbeifahrenden Züge hatten bestätigt, dass dies die richtige Richtung war. Und selbst wenn es die falsche Richtung wäre, musste sie den einmal eingeschlagenen Kurs beibehalten. Ihre Chance, sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen, wäre auf keinen Fall besser, wenn sie jetzt umkehrte. Während sie nun weiter auf das Licht zulief und sorgfältig einen Fuß vor den anderen setzte, spürte sie, dass sie langsam, aber stetig vorankam. Das Licht war bereits viel heller geworden und glänzte auf den Emaillekacheln am Eingang zum Tunnel. Auger konnte Menschen erkennen, die auf dem Bahnsteig standen und sie bislang noch nicht bemerkt hatten. Hinter ihr stieß der Koffer an die Wand und schlug einen kleinen Brocken aus der Verkleidung.
    Dann bewegten sich die Menschen und traten an die Kante des Bahnsteigs, als hätten sie kollektiv den Entschluss dazu gefasst. Als Auger es bemerkte, kamen fast gleichzeitig die hellen Scheinwerfer eines Zuges in Sicht. Er hielt am Bahnsteig, verharrte nur für ein paar Sekunden, wie es ihr vorkam, und setzte sich dann wieder in Bewegung, auf sie zu.
    Sie würde es nicht mehr schaffen.
    Als der Zug in den Teil des Tunnels einfuhr, in dem sie sich befand, tanzten Blitze zwischen den stromführenden Schienen und dem Fahrwerk des Zuges. Die Entladungen leuchteten in brutalem Blauviolett, genauso wie die Mündung des Wurmlochs, das sie vor kurzer Zeit gesehen hatte. Der Zug ruckte und schwankte, als er sich näherte, und schien die gesamte Breite des Tunnels auszufüllen. Auger wünschte sich, sie hätte die anderen Male besser Acht gegeben und die Wände nach Nischen abgesucht, in denen man Zuflucht suchen konnte. Jetzt blieb ihr nichts anderes übrig, als ruhig zu bleiben und sich so eng wie nur irgend möglich an die Wand zu schmiegen. Die Röhren und Kabel gruben sich wie mittelalterliche Folterinstrumente in ihre Wirbelsäule. Sie drückte sich noch fester dagegen und versuchte zu einem Teil der Wand zu werden, wie ein Chamäleon damit zu verschmelzen. Der Zug donnerte heran, Ratten ergriffen die Flucht und Papierfetzen wurde in der verdrängten Luft aufgewirbelt. Sie dachte, dass der Führer sie jetzt bestimmt sehen konnte. Doch der Zug kam unbeirrt näher. Sein stählerner Lärm erfüllte Augers Welt wie eine Verkündung.
    Sie schloss die Augen. Es hätte keinen Sinn, sie bis zum letzten Moment geöffnet zu lassen. Das Donnern erreichte den Höhepunkt, Öldämpfe und Staub schlugen ihr in die Lungen. Sie spürte einen brutalen Stoß gegen den linken Arm, als hätte der Zug ihn aus der Schulter gerissen. Der Lärm hielt eine Weile an, dann ließ er allmählich nach. Die Erschütterungen der Welt folgten dem Zug durch den Tunnel, dann war wieder alles ruhig.
    Auger öffnete die Augen und wagte es, wieder zu atmen. Sie hatte es überstanden. Ihr Arm war noch dort, wo er hingehörte, und schien nicht einmal ausgerenkt zu sein. Doch der Koffer lag mehrere Meter weiter halb offen im Tunnel. Die saubere Kleidung, die sie für sich eingepackt hatte, war über die Schienen verteilt und völlig verdreckt. Zwei

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