Ewigkeit
die Doppeltür zum Balkon öffnete. Entfernte Verkehrsgeräusche drangen in den Raum und störten die Stille wie ein unhöflicher Gast. Floyds Hand bewegte sich instinktiv zum Abstimmknopf, um den kleinen Pfeil über die erleuchtete horizontale Skala zu bewegen, auf der die Frequenzen und Radiosender aufgedruckt waren. Er kannte alle Sender, die noch die Sorte Musik spielten, die er und Custine gerne hörten und machten. Es gab jedes Jahr weniger von ihnen. In letzter Zeit schien es fast, als gäbe es jeden Monat weniger.
Floyd ließ das Rad so eingestellt, wie Susan White es zurückgelassen hatte, und drehte die Lautstärke hoch. Er hörte lediglich statisches Rauschen.
»Es ist kein Sender eingestellt«, sagte Floyd. »Entweder das, oder wer einmal auf dieser Frequenz gesendet hat, tut es jetzt nicht mehr.« Er holte sein Notizbuch hervor, blätterte zur ersten leeren Seite und notierte sich die Position des Zeigers. Dann drehte er am Abstimmknopf, bewegte den Pfeil von einem Ende der Skala zum anderen. Das Radio zischte und knackte, aber nirgends empfing Floyd ein erkennbares Signal.
»Und?«, fragte Blanchard.
»Mit dem Radio stimmt etwas nicht. Mittlerweile hätte ich irgendetwas empfangen müssen.«
»Das Radio hat tadellos funktioniert, bevor Mademoiselle White hier eingezogen ist.«
»Und vielleicht hat es auch funktioniert, während sie hier war. Aber jetzt ist es tot, es sei denn, alle Radiosender Frankreichs haben plötzlich den Betrieb eingestellt.« Floyd drehte den Abstimmknopf etwa auf die Position zurück, auf der er gestanden hatte, bevor sie gekommen waren, dann schaltete er das Radio aus. »Nicht weiter wichtig. Ich hatte nur gehofft, dass wir einen Hinweis auf ihren geistigen Zustand bekommen würden, wenn wir wissen, was sie zuletzt gehört hat.«
Custine kehrte vom Balkon zurück und schloss die Doppeltür hinter sich. »Der ist sicher«, erklärte er. Dann hielt er sich eine Hand an die Hüfte. »Das Geländer geht mir bis hier. Wie groß war sie, Monsieur?«
»Etwa so groß wie Sie.«
»Dann könnte ich mir vorstellen, dass sie gestolpert und dagegengeprallt ist, wenn sie großes Pech hatte«, bemerkte Custine. »Aber sie kann unmöglich darübergefallen sein, wenn sie sich nur ans Geländer gelehnt hat.«
»Dann schließen Sie diese Hypothese aus«, sagte der Vermieter. »Ziehen Sie stattdessen die Möglichkeit in Betracht, dass sie gestoßen wurde.«
»Oder gesprungen ist«, sagte Floyd. Mit einem Schnappen schloss er das Notizbuch. »Na schön, ich denke, wir haben hier fürs Erste genug gesehen. Können Sie dieses Zimmer bis auf weiteres so belassen?«
»Bis der Fall gelöst ist«, versicherte Blanchard ihm.
Floyd klopfte Custine auf den Rücken. »Komm, lass uns mit den anderen Hausbewohnern reden. Mal sehen, was die zu berichten haben.«
Custine beugte sich vor und nahm die Keksdose, die Floyd neben dem Radio abgestellt hatte. »Was ist mit der Wohnungstür?«, wandte er sich an Blanchard. »War sie verschlossen, als man sie gefunden hat?«
»Nein, sie war offen.«
»Dann könnte sie ermordet worden sein«, stellte Custine fest.
»Oder sie hat die Tür nicht abgeschlossen, weil sie mit den Gedanken woanders war«, sagte Floyd. »Das beweist gar nichts. Was ist mit der Haustür – war die auch offen?«
»Nein«, antwortete Blanchard. »Sie war zu. Aber sie fällt von allein ins Schloss. Der Mörder hätte sie beim Verlassen des Hauses nur hinter sich zuziehen müssen. Dafür hätte er keinen Schlüssel gebraucht.«
»Und Ihnen ist nicht aufgefallen, ob hier vielleicht etwas fehlt?«
»Wenn dem so wäre, hätte ich es Ihnen gesagt.«
Custine klopfte auf die Dose. »Vielleicht hat man das hier gesucht und nichts gefunden, weil es bereits an Monsieur Blanchard übergeben worden war.«
»Hat irgendetwas in dieser Dose danach ausgesehen, als wäre es einen Mord wert?«, fragte Floyd.
»Nein«, antwortete Custine. »Aber als ich beim Quai war, habe ich gesehen, wie Leute für ein Stück Brot ermordet wurden.«
Floyd wandte sich dem Vermieter zu. »Ich rufe Sie morgen an, sollte es Neuigkeiten geben. Andernfalls setzte ich die Ermittlungen fort, bis ich etwas Berichtenswertes habe.«
»Ich möchte gerne tägliche Rückmeldungen von Ihnen, unabhängig davon, was Sie entdecken.«
Floyd hob die Schultern. »Wenn Sie es wünschen.«
»Sie können mich abends anrufen. Am Ende jeder Woche erwarte ich einen getippten Bericht über den Fortgang der Ermittlungen und eine
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