Ewigkeit
Ihnen das hier vorbeibringe, damit die Wartezeit für Sie etwas erträglicher wird.«
Floyd blickte auf die Kiste. Sie war voller Schallplatten -Hüllen und Labels, die ihm vage bekannt vorkamen. »Woher haben Sie die?«, fragte er ungläubig.
»Aus der Fracht, die Sie von E2 mitgebracht haben«, sagte Tunguska mit selbstzufriedener Miene.
»Ich dachte, wir hätten sie verloren.«
»Stimmt. Das hier sind Kopien, die nach Scans der originalen Fracht rekonstruiert wurden. Für diese Voraussicht können Sie sich bei Cassandra bedanken.«
Floyd zog eine Schallplatte heraus. 78 Umdrehungen pro Minute, Louis Armstrong mit King Oliver’s Creole Jazz Band, der Titel »Chimes Blues«. Das Original war auf dem Label Gennett veröffentlicht worden und in tadellosem Zustand ein Vermögen wert. Floyd besaß ein zerkratztes Exemplar, das etwas weniger wert war. Trotzdem hatte er die Aufnahme tausendmal abgespielt, um zu begreifen, was Bill Johnson mit seinem Bass anstellte.
Diese Schallplatte war eine neuere Kopie von einem Label für Wiederveröffentlichungen, aber Floyd hatte sie trotzdem noch nie gesehen. Die Hülle bestand aus einem seltsamen, glatten Material, das sich wie nasses Glas anfühlte. »Das haben Sie hergestellt?«, fragte er, während er mit den Fingern über das eigenartige Papier strich.
»Es war recht einfach, nachdem die Informationen verfügbar waren.«
Floyd neigte die Hülle und ließ die Schallplatte herausgleiten. Als er sie in der Hand hielt, fühlte sie sich sehr leicht an, als wäre sie aus Tintenfischknochen gepresst worden, als würde sie bei der leichtesten Berührung in tausend Splitter zerbrechen.
»Ich war mir nicht einmal sicher, ob Sie hier überhaupt noch Musik hören. Auger schien nicht viel damit anfangen zu können. Genauso wie Susan White.«
»Hat Auger mit Ihnen darüber gesprochen?«
»Ich wollte sie immer wieder danach fragen, aber dann kamen uns die Ereignisse dazwischen. Was ist los, Tunguska? Wird Musik hier als primitive Kunstform betrachtet, ähnlich wie Höhlenmalerei oder Knochenschnitzerei?«
»Nicht ganz«, sagte Tunguska. »In den Kommunitäten hören wir immer noch Musik, auch wenn sie sich sehr von dem unterscheidet, was Sie kennen dürften. Doch Auger und ihre Kollegen sind einfach nicht mehr in der Lage, Musik zu hören. Es war unsere Schuld, müssen Sie wissen. Wir haben ihnen die Musik gestohlen.«
»Wie kann man Musik stehlen, Tunguska?«
»Indem man eine Viruswaffe entwirft. Ihnen dürfte nicht entgangen sein, welche entscheidende Rolle die Musik spielt, wenn es darum geht, während eines Krieges die Moral der Nation aufrechtzuerhalten. Jetzt stellen Sie sich vor, was passiert, wenn man den Menschen mit einem Schlag diese Möglichkeit nimmt. Wir hatten bereits ein Virus konstruiert, der sie alle getötet hätte, wenn eine gewisse Anzahl von Wirten infiziert worden wäre. Aber wir wollten sie nicht töten, wir wollten sie von unserer Ideologie überzeugen, damit sie unsere Gemeinschaften verstärkten. Außerdem lässt sich ein tödliches Virus nur mit großen Schwierigkeiten in einem großen Kampfgebiet freisetzen. Sobald die ersten Menschen sterben, werden Quarantänemaßnahmen eingeleitet. Man tut alles, um eine weitere Ausbreitung zu unterbinden. Also dachten unsere Konstrukteure noch einmal nach und bauten die Waffe so um, dass sie den Teil des Gehirns angreift, der mit der Sprache assoziiert ist. Sie gingen davon aus, dass sich ein solches Virus viel weiter ausbreiten kann, bevor man seine Wirkungen bemerkt.«
»Ganz schön hinterlistig«, sagte Floyd.
»Aber immer noch nicht optimal«, fuhr Tunguska fort. Sein Tonfall war genauso gemessen und entspannt wie immer. »Unsere Vorhersagen zeigten, dass es am Ende immer noch mehrere Millionen Tote geben würde, wenn die Gesellschaft in den Habitaten durch die Kommunikationsprobleme zwischen Arbeitern an Schlüsselpositionen zusammenbricht. Also bauten unsere Konstrukteure die Waffe erneut um. Schließlich hatten sie das Amusia- Virus entwickelt, das an bestimmte Areale der rechten Gehirnhälfte andockt, die denen in der linken Hälfte entsprechen, die mit der Wahrnehmung und Erzeugung von Sprache assoziiert sind. Und es hat wunderbar funktioniert. Die Opfer von Amusia haben jeglichen Sinn für Musik verloren. Sie können nicht musizieren, sie können nicht singen, sie können nicht pfeifen, sie kommen mit keinem Instrument zurecht. Sie können nicht einmal Musik hören. Sie hat für sie jede Bedeutung
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