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Ewigkeit

Ewigkeit

Titel: Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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einem Erfahrungsunterschied zu tun hatte, der nicht erklärt, sondern nur erlebt werden konnte.
    »Es wird mit den üblichen Sündenböcken beginnen«, erklärte der junge Mann. »Aber am Ende erwischt es jeden, dessen Nase ihnen nicht passt.«
    »Viel Spaß noch, Junge. Genieß das Gefühl, dass du etwas verändern kannst.« Floyd lächelte. »Es wird nicht ewig anhalten.«
    »Monsieur …«, sagte der junge Mann, aber Floyd hatte sich bereits abgewandt und stieg weiter die Bahnhofstreppe hinab.
    Der Gare de Lyon tauchte gerade in seinen nächtlichen Dämmerzustand ab. Den klappernden Anzeigetafeln zufolge würden noch ein paar Züge eintreffen und abfahren, aber der abendliche Andrang war eindeutig vorbei. Kühle Luft strömte durch zerbrochene Scheiben im metallenen Gitterwerk, das die Station überdachte. Zum ersten Mal seit Monaten erinnerte sich Floyd daran, wie sich der Winter anfühlte. Es war eine unwillkommene, bis eben noch weggesperrte Erinnerung, die ihn frösteln ließ.
    Er griff in die Tasche, um Gretas Brief hervorzuholen, und erwischte stattdessen das politische Pamphlet, das ihm der Junge gegeben hatte. Floyd warf einen Blick zurück, konnte aber nichts mehr von ihm sehen. Er zerknüllte das Papier und warf es in den nächstbesten Abfallcontainer. Schließlich fand er den Brief, den er gesucht hatte, und las ihn noch einmal aufmerksam durch, um sich zu vergewissern, dass er alles richtig verstanden hatte und halbwegs pünktlich war.
    »Spät wie immer, Wendell«, sagte hinter ihm eine Frau mit starkem Akzent auf Englisch. Die sofort vertraute Stimme ließ Floyd herumfahren. »Greta?«, setzte er an, als hätte es jemand anderer sein können. »Ich hatte nicht erwartet …«
    »Ich habe eine frühere Verbindung genommen. Ich warte hier schon seit einer halben Stunde, in der irrigen Annahme, dass du vielleicht ausnahmsweise früher als eine halbe Minute vorher auftauchst.«
    »Dann ist der Zug, der da drüben einfährt, nicht deiner?«
    »Deine detektivischen Fähigkeiten haben dich offenbar nicht im Stich gelassen.« In ihrem hüftlangen schwarzen Pelzmantel sah Greta ausgesprochen elegant aus. Eine Hand hatte sie locker in die Hüfte gestemmt, in der anderen hielt sie eine Zigarettenspitze auf Gesichtshöhe. Sie trug schwarze Schuhe, schwarze Strumpfhosen, schwarze Handschuhe und einen schwarzen Hut mit breiter Krempe, den sie bis über die Augen in die Stirn gezogen hatte. Im Hutband steckte eine schwarze Feder, und zu ihren Füßen stand ein schwarzer Koffer. Sie hatte schwarzen Lippenstift aufgetragen und heute auch schwarzen Lidschatten.
    Greta mochte Schwarz. Das hatte es Floyd immer leicht gemacht, wenn es darum ging, ihr Geschenke zu kaufen.
    »Wann genau ist mein Brief angekommen?«, fragte sie.
    »Ich habe ihn heute Nachmittag erhalten.«
    »Am Freitag habe ich ihn in Antibes aufgegeben. Eigentlich hättest du ihn spätestens Montag bekommen sollen.«
    »Custine und ich waren ein bisschen beschäftigt«, erklärte Floyd.
    »Eure schrecklich vielen Fälle?« Greta deutete auf ihr Gepäck. »Würdest du mir damit helfen? Bist du mit dem Auto hier? Ich muss zu meiner Tante, und ich würde es vorziehen, kein gutes Geld für ein Taxi zu verschwenden.«
    Floyd machte eine Kopfbewegung in Richtung des einladenden Leuchtens, das aus Le Train Bleu drang, einem Café, zu dem eine kleine Treppe mit Eisengeländer emporführte. »Das Auto steht in der Nähe, aber ich wette, dass du den ganzen Tag, während du im Zug gesessen bist, noch nichts gegessen hast.«
    »Ich würde es vorziehen, wenn du mich gleich zu meiner Tante bringst.«
    Floyd bückte sich, um den Koffer zu nehmen, als ihm einfiel, was Greta in ihrem Brief geschrieben hatte. »Lebt Marguerite noch in Montparnasse?«
    Greta nickte erschöpft. »Ja.«
    »Wenn das so ist, haben wir noch Zeit für einen Drink. Der Verkehr über den Fluss ist mörderisch – wir sind eher da, wenn wir noch eine halbe Stunde warten.«
    »Ich bin mir sicher, dass du eine genauso einleuchtende Erklärung hättest, wenn sie inzwischen auf diese Seite des Flusses gezogen wäre.«
    Floyd schmunzelte und machte sich daran, den Koffer die Treppe hinaufzuschleppen. »Ich verstehe das als ein ›Ja‹. Was hast du hier eigentlich drin?«
    »Bettzeug. Das Gästezimmer meiner Tante ist seit Jahren nicht benutzt worden. Nicht mehr, seit ich ausgezogen bin.«
    »Du könntest auch bei mir wohnen«, bot Floyd an.
    Gretas Absätze klackten auf den Steinstufen. »Und Custine aus

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