Ewiglich die Hoffnung
leid. Ich hab mich heute Morgen mit einem Freund getroffen und total die Zeit vergessen.«
»Und dein Handy auch.«
Ich holte tief Luft und begann, in meiner Tasche zu kramen. Mein Handy lag ganz unten, völlig tot. Ich war bis gestern spät nachts unterwegs gewesen und hatte dann heute Morgen ganz früh das Haus verlassen, ohne zwischendurch den Akku aufzuladen.
»Sorry. Kein Saft mehr.« Ich hielt ihm das Handy hin, damit er wusste, dass ich die Wahrheit sagte.
Mein Dad stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch und legte die Fingerspitzen zusammen. »Ich hab einen neuen Termin für dich gemacht. Morgen um die gleiche Zeit.«
Morgen. Ich würde doch hoffentlich heute Abend mit Cole aufbrechen.
»Ich glaube, morgen ist nicht so –«
Ich verstummte, als ich sein Gesicht sah. Es zerfiel förmlich. Von einer Sekunde auf die andere war aus dem starken Bürgermeister ein schwacher, müder alter Mann geworden. »Nikki«, sagte er leise. »Bitte.« Er forderte nicht. Er bettelte. »Ich kann dich nicht schon wieder verlieren. Weißt du, wie schlimm es beim letzten Mal für mich war? Erst deine Mutter zu verlieren … und dann dich? Kannst du dir das überhaupt vorstellen?«
Ich blickte nach unten auf seinen Schreibtisch, und meine Augen brannten.
»Ich weiß, ich habe Fehler gemacht«, sagte er, »aber ich stehe das nicht noch einmal durch. Ich kann einfach nicht.«
Mir fiel nichts ein, was ich hätte sagen können. Keine tröstenden Worte. Keine Versprechungen, die ich guten Gewissens hätte machen können. Einen Moment lang kamen mir Zweifel, ob ich das Richtige tat. Wie konnte ich ihn wieder verlassen? Wie konnte ich ihm das alles wieder zumuten?
Aber in der Oberwelt verging die Zeit langsam. Ich könnte zurück sein, ehe er überhaupt etwas merkte.
Es sei denn, ich scheiterte.
Gab es eine richtige Antwort? Schön wär’s. Es hatte keine mehr gegeben, seit ich das erste Mal ins Ewigseits gegangen war.
Ich ging um seinen Schreibtisch herum, schlang die Arme um ihn und küsste ihn auf den Kopf. Und dann versprach ich ihm doch etwas, ohne zu wissen, ob ich es würde halten können.
»Ich weiß, es war nicht immer leicht. Und ich weiß, es ist noch nicht vorbei. Aber ich verspreche dir, wir schaffen das.«
Er antwortete nicht. Er nickte bloß.
Ich ging in mein Zimmer. Und wartete.
Kapitel Elf
Um sechs Uhr fünfundfünfzig marschierte ich durch die Tür des Minimarkts, mit wild trommelndem Herzen. Ich winkte Ezra hinter der Kasse kurz zu.
»Nicht nötig, ihn anzurufen«, sagte ich. »Er weiß, dass ich hier bin.«
Ja, Cole wusste, dass ich hier war, aber würde er auch kommen? Ich ging nach hinten durch, vorbei an den zwei anderen Kunden im Laden. Die Sorte Kunden, die anscheinend nie mitkriegten, was wirklich passierte. Ich setzte mich auf den Fliesenboden. Ezra hatte sein Süßigkeitenangebot geändert. Wo früher die Schokorosinen gelegen hatten, füllten jetzt Donuts mit Puderzucker das untere Regal.
Unwillkürlich musste ich an den Tag vor ein paar Monaten denken, als Jack mich hier im Minimarkt überrascht hatte.
»Du magst keine Rosinen«, hatte Jack gesagt.
»Jetzt ess ich sie ganz gern«, hatte ich gelogen.
»Aber ich ändere mich nicht, Jack«, flüsterte ich nun. »Ich werde mich nie ändern.«
Ein Klopfen am Fenster riss mich aus meiner Erinnerung. Will stand draußen und deutete Richtung Rückseite des Ladens, um mir zu verstehen zu geben, dass er dort warten würde.
Ich lächelte, nickte und sah dann auf meine Uhr. Sechs Uhr neunundfünfzig.
Keine Spur von Cole.
Ich holte das blonde Haar aus meiner Tasche. Will hatte es dem neuen Barkeeper im Mulligan auf der Main Street rauszupfen müssen. Es gab nämlich einen erschreckenden Mangel an blonden Menschen in meinem Leben. Jules war die Ausnahme, aber ich konnte sie ja wohl kaum ganz beiläufig bitten, mir ein Haar von sich zu geben. Barkeeper Jimmy ließ Will erheblich mehr durchgehen als sein Vorgänger, aber ich glaube, das mit dem Haar hatte selbst ihn ein bisschen irritiert.
Ich sah auf mein Handy. Die Zeit war um. Und Cole ließ sich noch immer nicht blicken. Mein Herz hatte aufgehört zu trommeln. Jetzt fühlte es sich an, als säße es mir in der Kehle fest. Ich schüttelte den Kopf. Vielleicht war es naiv von mir zu glauben, dass ich ihm etwas bedeutete. Vielleicht reichte es ihm endgültig, und er hatte die Möglichkeit abgehakt, seine Königin gefunden zu haben.
Ich hob trotzdem das Haar an den Mund und versuchte, nicht
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