Ewiglich die Hoffnung
Cole eindeutig eines: vertraut. Beruhigend.
Er breitete eine Decke über mich. »Es dauert nur drei Stunden«, wisperte er. »Versuch, dich etwas auszuruhen.«
»Was ist eine Verdunkelung?«, fragte ich leise.
»Das, wonach es klingt. Um Energie zu sparen, schalten die Schatten zeitweise alles ab. Dann bleiben alle zu Hause. Es ist besser, dass es jetzt passiert, als dann, wenn wir im Labyrinth sind.«
Er schwieg. Ich konnte noch immer das Gemurmel der anderen beiden hören, verstand aber kein Wort.
»Cole?«, flüsterte ich.
»Ja?«
»Gibt es Schatten im Labyrinth?«
Ich hörte ihn ausatmen. »Ich glaube nicht. Sie konzentrieren sich auf Energie. Etwas anderes interessiert sie nicht, deshalb bleiben sie im mittleren Ring und in den Unterbezirken, wo sie die Energie manipulieren können. Sie haben keinen Grund, ins Labyrinth zu gehen.«
»Wieso machen sie das, was sie machen?«
»Sie sind so etwas wie die Gestalt gewordene Ergebenheit zur Welt des Ewigseits. Manche sagen, das ist das Einzige, was sie noch sind. Der letzte Schatten von Zuneigung. Der letzte Hauch … von Liebe, die aber keine Rechtfertigung hat. Ihr einziges Bestreben ist, diese Welt zu schützen und die Energie in ihr.«
»Wo kommen sie her?«
»Keine Ahnung.«
Es gab so vieles, das Cole über seine eigene Welt nicht wusste. So vieles wurde geheim gehalten, selbst vor den Bewohnern. Ich wandte mich ihm zu. »Sterben sie?«
»Keine Ahnung.«
Wir schwiegen einen Augenblick, und ich konnte hören, wie Cole tiefer unter die Decke kroch.
»Willst du etwa schlafen?«, fragte ich.
Cole lachte leise. »Nein. Schlafen ist nur was für die Oberwelt, genau wie essen. Das brauchen wir hier unten nicht. Das gilt übrigens auch für dich, solange du hier bist.«
Mrs Jenkins hatte mich davor gewarnt, hier irgendetwas zu essen. Und jetzt hörte es sich so an, als müsste ich mir gar keine Gedanken deswegen machen. Plötzlich leuchtete mir auch ein, warum ich bei Ashe zu Hause keine Küche gesehen hatte.
Ich dachte daran, wie selbstverständlich Ashe mitgekommen war, ohne Fragen zu stellen. »Ist Ashe ein richtiger Ewiglicher?«
»Ein richtiger Ewiglicher?«, sagte Cole mit einem Lächeln in der Stimme.
»Ich meine, wieso sieht er so aus? Wie … Rauch?«
Cole seufzte. »Keine Ahnung. Sein verändertes Äußeres ist neu für mich. Früher sah er nicht so aus. Er hat gesagt, er hätte die letzte Nährung verpasst. Vielleicht deshalb.«
»Was hast du für ihn getan, dass er so ohne Weiteres mit uns kommt?«
Cole zögerte. »Er ist mir noch was schuldig. Eine alte Geschichte. Ich hab mal was gefunden, das er verloren hatte. Jetzt will er die Schuld begleichen.«
»Und was hast du gefunden?«
Er zögerte erneut. »Ist nicht wichtig.«
Mehr sagte er nicht dazu. Auf der anderen Seite des Raumes war es still geworden, und ich hatte das Gefühl, dass die beiden zuhörten, daher fragte ich nicht weiter.
Ashe kam nur deshalb mit, weil er Cole etwas schuldig war. Aber wieso war Cole mitgekommen? In seinen Augen schuldete er mir gar nichts.
»Cole?«
»Ja, Nik?«
Ich atmete tief aus. Ich konnte ihn nicht fragen, wieso er sich schließlich doch entschieden hatte, mir zu helfen, weil ich nicht wollte, dass er sich so richtig klarmachte, auf was er sich hier eingelassen hatte. »Hast du Angst, du könntest getötet werden?«
»Nein. Ich habe Angst vor etwas, das schlimmer ist als der Tod.«
Schlimmer als der Tod? »Was denn?«
»Ewigliche können in einer Hölle ihres eigenen Verstandes gefangen werden.« Ich spürte, wie er an einem losen Faden am Ärmel seiner Jacke zupfte. »Ist dir schon mal aufgefallen, dass die Strafen in der Mythologie immer mit Wiederholung und Dauerhaftigkeit zu tun haben? Sisyphos rollt den Felsblock den Berghang hoch, und wenn er fast oben ist, rollt der Stein wieder runter, und Sisyphos kann von vorn anfangen. Seelen sind in Treibsand gefangen, während Raubvögel ihnen immer wieder von Neuem die Eingeweide wegfressen. Die Ewiglichen haben Angst vor ewigen Strafen, wie die der Streuner, die immerzu Hunger leiden, aber niemals verhungern werden. Wenn wir einer solchen Zerstörung in unserem Verstand zum Opfer fallen, wäre der Tod eigentlich eine Erlösung.«
Ich erinnerte mich an Bilder von derlei Strafen und Flüchen in dem D’Aulaires-Sagenbuch. »Kennst du jemanden, der in so etwas gefangen ist?«, fragte ich.
»Ja. Ich.« Ich drehte mich zu ihm um, und er spürte die Bewegung. »Mit dir. Es immerzu versuchen,
Weitere Kostenlose Bücher