Ex
Mittagessen setzten – auf Kosten der Zeitschrift, darauf hatte Joanna bestanden –, waren Sams Sorgenfalten verschwunden. Sie sah ihm an, daß er irgendeine neue Idee ausgebrütet hatte.
»Es gibt da eine Sache, die ich schon seit Jahren ausprobieren will«, meinte er, nachdem sie bestellt hatten. »Der Versuch ist schon mal durchgeführt worden, mehr als einmal, deshalb weiß ich, daß er funktioniert. Aber wenn das nicht eine gute Story ist, weiß ich auch nicht.«
»Erzählen Sie mir davon.«
»Es ist ein Gruppenexperiment, dem Sie als Teilnehmerin angehören werden. Wir werden einen Geist erschaffen«, sagte er, während er ihre Miene beobachtete.
Sie erwiderte seinen Blick, unsicher, ob sie ihn ernst nehmen sollte.
»Nur damit ich weiß, worauf ich mich einlasse«, entgegnete sie mit einem leicht argwöhnischen Unterton, »sollen wir diesen Geist erschaffen, indem wir… nun… jemanden umbringen? Oder haben Sie eine andere Methode im Sinn?«
»Niemand wird umgebracht«, versicherte er ihr lachend. »Es wird der Geist von jemandem sein, der niemals existiert hat. Wir erfinden ihn – oder sie.«
Einige Augenblicke lang sah sie ihn nur sprachlos an, dann versuchte sie sich mit dem Gedanken vertraut zu machen.
»Na gut«, meinte sie schließlich, »erzählen Sie mir, wie man einen Geist erschafft.«
»Zunächst müssen wir definieren, was wir unter einem Geist verstehen. Woran denken Sie bei dem Wort ›Geist‹?«
»Na ja, an so etwas wie ein Gespenst aus dem Jenseits, das herumspukt, stöhnt und ächzt und in der Nacht erscheint.«
»Das zurückkehrt, um einen Mord zu rächen, eine Warnung auszusprechen oder sich einfach nur an seinen alten Lieblingsplätzen herumzutreiben?«
»So ungefähr.«
Er machte eine abschätzige Handbewegung. »An diese Art Geister glaube ich nicht.«
»Das hätte ich von Ihnen auch nicht erwartet. Aber an welche Geister glauben Sie dann?«
»Haben Sie schon mal etwas von tulpas gehört…?«
»Nein.«
»Es ist ein tibetisches Wort und bedeutet ›gedachte Gestalt‹. Wenn man sich etwas richtig vorstellt, wird es Wirklichkeit.«
Wieder einmal zuckten ihre Augenbrauen skeptisch. »Also, das muß ich erst sehen, bevor ich es glaube.«
»Genau das ist Sinn der Sache – Sie werden es sehen.«
»Fahren Sie fort.«
»Denken Sie an irgendeine x-beliebige Spukgeschichte, von der Sie gehört haben. Die laufen immer nach demselben Strickmuster ab. Es beginnt mit unerklärlichen Geräuschen oder Schritten, Türen öffnen und schließen sich, man spürt, daß es an bestimmten Stellen kalt ist, oder riecht sogar etwas Seltsames – kurz, es gibt allgemeine Wahrnehmungen irgendeiner Präsenz. Man erlebt vielleicht Poltergeist-Phänomene, und früher oder später fangen die Leute an, Dinge zu sehen – eine verschwommene Gestalt, eine Art wabernde Wolke oder auch jemanden, der so real aussieht wie man selbst und durchs Zimmer geht oder zum Fenster hereinschaut. Der übliche Spukgeschichten-Kram.«
»Nichts davon«, unterbrach ihn Joanna ein wenig argwöhnisch, »habe ich je persönlich erlebt.«
»Ich auch nicht«, erwiderte Sam achselzuckend. »Aber daß diese Dinge tatsächlich vorkommen, ist erstaunlich oft belegt. Was einen dabei am meisten wütend macht, ist die Art der Erklärung, mit der man üblicherweise abgespeist wird. Genauer betrachtet, sind Geister etwas ziemlich Abgedroschenes. Wenn man in der Geschichte eines beliebigen Hauses lange genug nachforscht, findet man bestimmt irgend jemanden, dem hier mal etwas Unangenehmes zugestoßen ist. Auch bei einem neuen Haus kann man ziemlich sicher so etwas feststellen, wenn auf dem Grundstück früher ein anderes Haus gestanden hat. Man findet also immer eine Erklärung für einen Spuk, wenn man nur lange genug danach sucht – genauso, wie man in einem Feuer oder in vorbeiziehenden Wolken Gesichter erkennen kann, wenn man lange genug hinsieht.«
»Was wollen Sie nun damit sagen?«
»Ich frage Sie: Warum sind Geister so unoriginell, warum wiederholen sich ihre Geschichten immer? Sie tun unentwegt dieselben Dinge, sind immer gleich gekleidet, unabhängig davon, wie oft und von wie vielen Menschen sie gesehen werden. Sie sind eher mit einem Foto oder einer Erinnerung vergleichbar als mit einem tatsächlichen Ereignis. Eine Erinnerung ist ja etwas, das im Gehirn gespeichert ist. Und da kommen meiner Meinung nach auch die Geister her: aus dem Gehirn der Leute, die sie sehen.«
»Halluzinationen?«
»Eine Art.«
»Wie
Weitere Kostenlose Bücher